Psychologie politischer Reden und Kommunikation
Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik
CMC Forschungsprojekt WORTSTROM
Politische Rede im Wortlaut
Oskar Lafontaine: Bundestagsrede in der Debatte zum Bundeshaushaltsplan 2008 am 12.09.2007 - Rede des Jahres 2007 des Instituts für Rhetorik der Universität Tübingen
Redeanalyse (Kommunikationsprofil) ►
„Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
‚Deutschland hat wieder allen Grund zur Zuversicht.’ Mit diesem Satz hat die Bundeskanzlerin ihre Erklärung zum Haushalt heute begonnen.
Frau Bundeskanzlerin, wir würden diesem Satz gern zustimmen, wir können ihm aber nicht zustimmen, weil wir die Frage aufwerfen müssen: Wer ist ‚Deutschland’?
Verstehen Sie unter ‚Deutschland’ auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ‚Deutschland’ auch die Rentnerinnen und Rentner, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Gehören zu ‚Deutschland’ auch die Empfänger sozialer Leistungen, zu denen ich gleich etwas sagen werde? Und gehören zu ‚Deutschland’ auch die 2,5 Millionen Kinder, die in Armut leben? Haben die Grund zur Zuversicht? Wen haben Sie denn gemeint, verehrte Frau Bundeskanzlerin, als Sie hier vollmundig von Zuversicht gesprochen haben?
Ich beginne mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und zitiere die Tageszeitung Die Welt, damit nicht irgendjemand auf die Idee kommt, ich würde hier oppositionelle Texte verbreiten, die böswillig verfasst seien, um Ihre tolle Bilanz infrage zu stellen. Sie konnten darin vorgestern über die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland lesen:
‚Als ‚prekäre Beschäftigung’ bezeichnen Soziologen unsichere, schlecht bezahlte Arbeitsverhältnisse. Nach Zahlen des DGB breitet sich die prekäre Beschäftigung immer weiter aus. So hat sich die Zahl der Zeitarbeiter seit 2003 auf 650000 verdoppelt; 18 Prozent der Erwerbstätigen sind Minijobber, weitere 600000 Menschen arbeiten als Ein-Euro-Jobber, und 440000 Vollzeitbeschäftigte verdienen so wenig, dass sie auf Hartz IV angewiesen sind. Mit den Arbeitsmarktreformen sei ein ‚unerträgliches Maß’ an Deregulierung erreicht worden, kritisiert der DGB.’
Sie haben sich hier hingestellt und die Arbeitsmarktreformen als Grundlage für die Zuversicht Deutschlands dargestellt. Sie reden völlig über die Köpfe der Menschen hier in Deutschland hinweg.
Millionen sind in prekären Arbeitsverhältnissen. Wir haben keinen Grund zur Zuversicht. - Falls die Menschen Sie jetzt sehen könnten, Frau Bundeskanzlerin, hätten sie kein Verständnis dafür, dass Sie an dieser Stelle lächeln.
Ich möchte hier noch einmal sagen, was prekäre Arbeitsverhältnisse eigentlich bedeuten; ihre Zahl nimmt weiter zu. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat einmal gesagt: Prekäre Arbeitsverhältnisse rauben den Menschen die Zukunftsplanung. - Das müsste jeder nachvollziehen können, der sich einmal die Mühe macht, das nachzuempfinden.
Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man noch genug Geld hat, um Nahrungsmittel einzukaufen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Miete zu bezahlen? Was heißt es, wenn man am Monatsende nicht weiß, ob man Geld hat, um die Stromrechnung zu bezahlen? Und wie demütigend ist es für Eltern, wenn sie feststellen müssen, dass sie ihrem Kind den Schulausflug nicht bezahlen können? Das hat nichts mit Zuversicht zu tun.
Diese Menschen haben keine Zukunft. An dieser Stelle müssen wir mit Reformen beginnen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Ergänzend ist hier noch auszuführen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland vom Wohlstandszuwachs abgekoppelt sind. Seit zehn Jahren gibt es in Deutschland keinen realen Lohnzuwachs, und auch die relativ guten Tarifabschlüsse in diesem Jahr können nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein anderer Prozess weitergeht, nämlich der Prozess der permanenten Lohnsenkung. Deswegen wäre es eine wichtige Reform, einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland durchzusetzen, wie in Frankreich 8,44 Euro. Was in Frankreich geht, geht auch in Deutschland.
Es gibt keinen vernünftigen Grund, die Ausbeutung, die in Deutschland aufgrund Ihrer Zögerlichkeit und Ihrer Handlungsunfähigkeit nach wie vor Wirklichkeit ist, nicht zu beenden. Ein humanes Land, ein Land, in dem Zuversicht herrschen soll, muss die Ausbeutung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden, die für unter 2 Euro beschäftigt werden. Wo leben wir eigentlich, meine sehr geehrten Damen und Herren?
Zum zweiten Punkt, den Rentnerinnen und Rentnern. Wenn sie Ihnen zugehört haben, werden sie nicht unbedingt Ihre Auffassung geteilt haben, dass sie Grund zur Zuversicht haben. Die Rentnerinnen und Rentner mussten in den letzten Jahren Nullrunden verkraften. Sie haben in diesem Jahr eine lächerliche Erhöhung bekommen, die noch nicht einmal die Preissteigerung ausgleicht. Wenn man mit Rentnerinnen und Rentnern spricht, dann wird man nicht hören, dass sie dies als Grund zur Zuversicht empfinden.
Aber an einer Stelle ist Ihre Bemerkung geradezu obszön, nämlich dann, wenn es um die Zukunftserwartung derjenigen Menschen in Deutschland geht, die niedrige Löhne haben. Die OECD hat festgestellt, dass diese Menschen - die Zahl nimmt zu; es sind Millionen - die schlechteste Rentenerwartung aller Industriestaaten haben. Das ist doch kein Grund zur Zuversicht, sondern der Nachweis, dass Ihre Rentenpolitik total gescheitert ist.
Wenn alle seriösen Prognosen nachweisen, dass immer mehr Rentnerinnen und Rentner in Zukunft Armutsrenten haben werden - das sind nicht 10 Prozent; das sind nicht 20 Prozent; das sind mehr -, dann ist völlig unvorstellbar, wieso Sie sich hier hinstellen und sagen können: Deutschland hat Grund zur Zuversicht.
Wir müssen die Rentenformel in Deutschland wiederherstellen. Die Dämpfungsfaktoren müssen wieder zurückgenommen werden. Der Rückschritt in das vorletzte Jahrhundert war ein sozialer Kahlschlag ersten Ranges. Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, haben einen Anspruch auf armutsfeste Rente. Die Linke wird nicht aufhören, dies hier immer wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Nun komme ich zu den Menschen, die arbeitslos sind. Es sind immer noch - hierin stimme ich Ihnen zu - viel zu viele, die in Deutschland arbeitslos sind. Aber wir können nicht darüber hinwegsehen, dass die Lebensbedingungen dieser Menschen durch Ihre verfehlte Politik, die Sie hier auch noch ausdrücklich gelobt haben, erheblich beschädigt worden sind. Sie haben gelobt, dass man beispielsweise die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes erheblich gekürzt hat. Sie haben gelobt, dass man Hartz IV durchsetzt und beispielsweise Menschen zwingt, zu Bedingungen zu arbeiten, zu denen sie vorher nicht arbeiten mussten. Sie haben gelobt, dass man Menschen ihr Vermögen nimmt, das sie fürs Alter gespart haben. Das alles haben Sie hier gesagt. Glauben Sie tatsächlich, diese Menschen hätten Grund zur Zuversicht?
Wenn jemand Angst hat, arbeitslos zu werden, über 50 ist und dann gleich nach einem Jahr nach Hartz IV zurückfällt, hat er keinen Grund zur Zuversicht; dann hat er Angst. Deshalb muss Hartz IV weg, deshalb muss es überwunden werden, und ein erster Schritt dazu wäre ein längerer Bezug von Arbeitslosengeld, wie es im Übrigen auch viele Kollegen aus den Koalitionsfraktionen öfter gefordert haben.
Im Übrigen, um noch ein aktuelles Thema aufzugreifen: Sie haben die Zahlen hier ausgebreitet, aber zu den prekären Arbeitsverhältnissen gehört eben auch die Leiharbeit. Ich sage hier einmal, was Leiharbeit heißt. Kürzlich hat mir der Betriebsratsvorsitzende eines Metallbetriebes in Saarbrücken gesagt, dass der niedrigste Lohn in der Belegschaft 15 Euro pro Stunde ist, dass aber die Leiharbeiter mit der Hälfte dessen entlohnt werden, nämlich 7,50 Euro pro Stunde. Dies betrifft nicht nur einen einzelnen Betrieb. Diese Methode, Kosten zu senken, breitet sich immer weiter aus. Stimmen Sie doch dem Antrag der Linken zu, endlich durchzusetzen, dass Leiharbeiter genauso wie die Stammbelegschaft bezahlt werden müssen! Dann würden Sie hier einmal eine Reform durchführen, die diesen Namen verdient.
Nun komme ich zur Kinderarmut. Wie können Sie bei 2,5 Millionen Kindern, die in Armut leben, sagen, Deutschland habe Grund zur Zuversicht? Sind Millionen Kinder nicht auch Deutschland? Wäre es nicht unsere Aufgabe, eben für diese Kinder etwas zu tun? Warum gab es in der Sommerpause Diskussionen aus den Koalitionsfraktionen, man solle den Kinderzuschlag erhöhen?
Wir haben diese Diskussion begrüßt. Aber warum ist dem nichts gefolgt? Warum lehnen Sie den Antrag der Linken ständig ab, den Kinderzuschlag zu erhöhen?
Das, was in diesem Antrag enthalten ist, wäre wirklich einmal ein Fortschritt für Millionen Kinder, die in Deutschland in Armut leben.
Nun haben Sie hier mit viel Stolz verkündet - oder der Referent hat es Ihnen aufgeschrieben -, dass wir eine niedrige Staatsquote haben. Ich habe hier schon mehrfach an Sie die Frage gestellt, welche Steuer- und Abgabenquote Sie eigentlich für Deutschland anstreben. Das ist eine Kernfrage jeder Haushaltsberatung. Wenn man die nicht beantworten kann, sollte man eigentlich nicht zum Haushalt sprechen.
Die Antwort auf diese Frage bestimmt ja letztendlich die Möglichkeiten, was man in Deutschland tun kann, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Eines ist auf jeden Fall klar: Wenn die Politik der Umverteilung von unten nach oben - Mehrwertsteuererhöhung plus Unternehmensteuersenkung - fortgesetzt wird, dann verarmen immer mehr Menschen in Deutschland, sehen keine Zukunft mehr in Deutschland und haben keine Zuversicht.
Wir wollen natürlich auch an die Facharbeiter und die Kleinbetriebe denken. Deshalb möchte ich hier noch einmal einen Vorschlag wiederholen, den ich schon in zwei früheren Debatten vorgetragen habe: Wir wollen den sogenannten Bauch im Steuertarif beseitigen; wir wollen einen linearen Steuertarif. Dieser lineare Steuertarif würde Facharbeiter und Kleinbetriebe entlasten. Jedem, der wie der Bundesfinanzminister sagt, das könnten wir uns jetzt nicht erlauben, halte ich entgegen: Dann müssen wir eben den Spitzensteuersatz wieder anheben, um so die Verluste auszugleichen.
Auf jeden Fall ist es nicht zulässig, Facharbeiter und Kleinbetriebe überproportional zu belasten.
Dies wäre nun wirklich eine Struktur- bzw. Steuerreform, die ökonomische Wirkung entfalten und insbesondere diejenigen belohnen würde, die in Deutschland etwas leisten. Leistung lohnt sich in Deutschland schon lange nicht mehr. Sie lohnt sich nicht für diejenigen, die trotz einer Vollzeitbeschäftigung auf Hartz IV angewiesen sind, und sie lohnt sich nicht für die Facharbeiter, die überproportional zur Kasse gebeten werden. Leistung soll sich wieder lohnen in Deutschland. Damit würden wir die Kräfte freisetzen, die den wirtschaftlichen Aufschwung in Gang bringen können.
An ein Zweites möchte ich in diesem Zusammenhang noch erinnern: Die Unternehmensteuer muss natürlich so gestaltet werden, dass Investitionen begünstigt werden. Ich fordere hier noch einmal für meine Fraktion, die degressive Abschreibung wieder einzuführen. Es ist unsinnig, mit der Gießkanne Steuergeschenke zu verteilen. Sinnvoll wäre es, den investierenden Unternehmer zu belohnen und beispielsweise den spekulierenden zu bestrafen und zur Kasse zu bitten.
Das wäre eine sinnvolle Steuerreform. Deshalb habe ich dies hier noch einmal angesprochen.
Nächster Punkt: Obwohl da und dort etwas getan wird, liegt die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland viel zu niedrig. Wir haben es immer wieder angemahnt: Wer wirklich für die Zukunft vorsorgen will, muss die Quote der öffentlichen Investitionen in Deutschland anheben. Da gibt es ein Maß, an dem sich jeder orientieren kann: Das ist das Maß der Europäischen Gemeinschaft. Deutschland als moderner Industriestaat sollte doch den Ehrgeiz haben, bei den öffentlichen Investitionen in Infrastruktur zumindest den Durchschnitt der Europäischen Gemeinschaft zu erreichen. Das ist doch nicht zu viel verlangt. An dieser Stelle war das systematische Kürzen von Investitionen aus Spargründen falsch. Mit öffentlichen Investitionen sichert man auch die Zukunft. Wir fordern: Zieht mit dem europäischen Durchschnitt gleich!
Nächster Punkt: Bei den Bildungsausgaben sollten wir den Ehrgeiz haben, nicht den Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten zu erreichen, sondern vielleicht noch etwas mehr.
Wir wurden einmal von einer französischen Schriftstellerin als Land der Dichter und Denker bezeichnet. Ich weiß nicht, ob sie das heute noch so formulieren würde, wenn sie denn noch leben würde. Auf jeden Fall können wir eines nicht zulassen, nämlich dass die Bildungsausgaben ständig unter dem Durchschnitt der Ausgaben in den OECD-Staaten liegen. Wir müssen an dieser Stelle etwas tun. Hier ist das fröhliche Bekenntnis zu einer niedrigen Staatsquote völlig fehl am Platz. Wir sollten mit Blick auf diesen Bereich eine höhere Staatsquote anstreben und mehr Ausgaben für Bildung tätigen; dann würden wir auch bei PISA nicht derartige Ergebnisse erzielen.
Können Sie sich vorstellen, dass irgendein Regierungschef eines nordischen Staates hier einen entsprechenden Vortrag halten würde? Was glauben Sie, warum in Dänemark, Schweden und Finnland weitaus bessere Bildungsergebnisse erreicht wurden? Etwa, weil die eine niedrige Staatsquote haben und wenig Geld für Bildung ausgeben? Auf eine solche Idee käme dort niemand. Ich rate dazu, doch einmal die Schülerweisheit anzuwenden, dass man, wenn man selbst nicht weiß, wie es gemacht wird, beim Nachbarn, der es besser weiß, abschreiben sollte. An dieser Stelle wäre das dringend geboten, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Nun haben Sie, verehrte Frau Bundeskanzlerin, gar nichts dazu gesagt, dass man international nicht mehr der Auffassung ist, dass die Konjunktur sehr gut läuft. Vielleicht war das in der Presse heute Morgen noch nicht deutlich genug. Denn international wird mittlerweile darauf hingewiesen, dass die amerikanische Hypothekenkrise Auswirkungen auf die Weltkonjunktur hat. Mittlerweile beraten andere Staaten bereits Gegenmaßnahmen. Deshalb rate ich dazu, dass auch wir überlegen, was wir tun können, um solche Krisenentwicklungen zu vermeiden.
Nun haben Sie hier gesagt - das ist lobenswert; vor Jahren wurde das von Ihrer Partei noch als völliger Unsinn verworfen - wir bräuchten einen internationalen Ordnungsrahmen. Ich kann dem nur zustimmen. Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen, der der Weltwirtschaft Regeln auferlegt, nach denen sie funktioniert. Solche Regeln fordern wir schon seit vielen Jahren. Nur genügt es dann nicht, wenn man brav mehr Transparenz fordert. Meinen Sie, irgendein Hedgefonds interessiert sich für solche braven Forderungen? Meinen Sie, irgendeine Private-Equity-Gesellschaft interessiert sich dafür?
Nein, wir brauchen Regeln, nach denen die internationalen Finanztransaktionen abgewickelt werden; sonst werden wir niemals Ordnung in die Weltfinanzmärkte bekommen.
Wir hätten von Ihnen gern wenigstens eine Andeutung gehört, wie Sie sich das vorstellen. Ich frage Sie: Sind Sie beispielsweise für die Stabilisierung der Wechselkurse, wie es die Bretton-Woods-Kommission, an der Leute wie Lambsdorff, Pöhl und andere mitgewirkt haben, schon vor vielen Jahren vorgeschlagen hat? Wenn ja, wie wollen Sie dies erreichen? Oder wollen Sie weiterhin der weltweiten Spekulation Tür und Tor öffnen? Sind Sie bereit, wie es etwa James Tobin vorgeschlagen hat und wie es auch viele Staatsmänner der Welt gefordert haben, die internationalen Finanztransaktionen durch eine Steuer einzudämmen?
Sind Sie bereit, zur Regulierung des internationalen Kapitalverkehrs andere Regeln vorzuschlagen? Wir hätten gern irgendetwas dazu gehört. Lediglich mehr Transparenz zu fordern, ist angesichts der Zustände auf den internationalen Finanzmärkten schlicht naiv.
Das gilt im Übrigen auch für die Europäische Gemeinschaft. Ich möchte hier ausdrücklich feststellen, dass die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Sarkozy besser sind als das, was von Ihrer Regierung geäußert wird. Wenn beispielsweise der französische Staatspräsident und viele andere fordern, die Europäische Zentralbank nicht nur auf Preisstabilität zu verpflichten, sondern auch auf Wachstum und Beschäftigung, dann hat er recht. Wenn Sie den antiquierten Standpunkt der Preisstabilität vertreten, dann haben Sie unrecht. Europa hat in den letzten Jahren Wachstumseinbußen gehabt, weil die Europäische Zentralbank es nicht der amerikanischen Notenbank gleichgetan hat. Es wäre gut, wenn Sie Ihren Standpunkt an dieser Stelle revidieren und auf Frankreich zugehen.
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise fordert, eine europäische Wirtschaftsregierung einzusetzen, um die Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten zu koordinieren, dann findet er unsere Unterstützung. Bei immer enger verflochtenen europäischen Volkswirtschaften ist das nur logisch. Es wäre sinnvoll, die Investitionen und die Finanzpolitik aufeinander abzustimmen, ebenso die Lohnpolitik, damit das Lohndumping nicht fortgesetzt wird. Sinnvoll wäre auch, die Steuerpolitik abzustimmen; dazu hätten wir ebenfalls gern etwas gehört. Wir brauchen eine Steuerharmonisierung in Europa, damit das Dumping an der Steuerfront nicht fortgesetzt wird.
Wenn der französische Staatspräsident beispielsweise etwas zum Stabilitätspakt sagt, dann sollte man ihn nicht so abbügeln, wie es laut Presse jetzt geschehen ist. Wir hatten schon einmal eine Regierung, der man sagen musste, dass eine enge Zusammenarbeit mit Frankreich vielleicht besser sei als das ständige Schüren von Konflikten; das liegt schon etwas zurück. Irgendwann hat man das gelernt. An dieser Stelle rate ich dringend dazu, einen engeren Schulterschluss mit Frankreich zu suchen.
Aus Zeitgründen nur noch ein paar Worte zur Außenpolitik. Wir, die Fraktion Die Linke, befürworten eine andere Außenpolitik. Wir befürworten eine Außenpolitik, die das Völkerrecht zu ihrer Grundlage macht.
Es ist auf Dauer nicht hinnehmbar, dass Deutschland das Völkerrecht nicht zur Grundlage der Außenpolitik macht.
Ich beginne mit dem Irakkrieg. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass Sie am Irakkrieg mittelbar beteiligt sind. Das Bundesverwaltungsgericht hat Ihnen bescheinigt, dass dies ein Bruch des Völkerrechts ist. Sie tun so, als ginge Sie das alles nichts an. Es ist etwas Neues in Deutschland, dass eine Regierung von einem höchsten Gericht bescheinigt bekommt, das Völkerrecht zu brechen, und dass sie dafür nur ein Achselzucken übrig hat. Das ist eine Fehlentwicklung, die korrigiert werden muss.
Dasselbe gilt für Afghanistan. Es genügt nicht, auf ISAF zu verweisen. Wir müssen auch ‚Enduring Freedom’ und den Tornadoeinsatz in diesem Hause diskutieren. Daran darf man sich nicht vorbeimogeln. Es ist ja richtig, dass das eine oder andere von den Soldaten in Afghanistan positiv auf den Weg gebracht worden ist. Wer wollte das bestreiten? Für meine Fraktion aber ist es nicht hinnehmbar - ich sage dies hier noch einmal in aller Klarheit -, dass auf der Grundlage von Fotos, die mithilfe deutscher Tornados aufgenommen werden, unschuldige Menschen umgebracht werden.
Wenn dies nicht der Fall ist, dann seien Sie Frau genug, sich hier hinzustellen und zu sagen: Das stimmt nicht; die von diesen Tornados aus aufgenommenen Fotos werden nicht für die NATO-Bombardierungen verwandt. Solange Sie dies aber nicht sagen können, ist die Vorgehensweise, die in den letzten Monaten an den Tag gelegt worden ist, völlig unverantwortlich.
Wir reklamieren nach wie vor eine Außenpolitik, die ein Kanzler im Deutschen Bundestag einmal mit dem Wort ‚Gewaltverzicht’ begründet hat. Das Wort ‚Gewaltverzicht’ ist in den letzten Jahren aus der öffentlichen Diskussion in Deutschland verschwunden; das muss Gründe haben. Für den Fall, dass jemand eine begrenzte Auslegung des Wortes ‚Gewaltverzicht’ vortragen möchte, sage ich: Dieser Kanzler hat das Wort nicht nur auf den Ost-West-Konflikt bezogen. Nein, dieser Kanzler hat das Wort ‚Gewaltverzicht’ für den Frieden auf der ganzen Welt formuliert. Es gilt auch für die Lösung von Konflikten in Afghanistan, im Irak oder sonst wo.
Gewaltverzicht sollte die Grundlage der deutschen Außenpolitik sein. Wir sollten uns an einer Tradition orientieren, die nach meiner Auffassung die gebündelte Schlussfolgerung aus unserer Geschichte im letzten Jahrhundert ist. Wenn es darum geht, den Frieden in der Welt zu erreichen, dann sollte sich Deutschland auf den Satz verpflichten: Von deutschem Boden darf niemals wieder Krieg ausgehen.“
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