Psychologie politischer Reden und Kommunikation
Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik
CMC Forschungsprojekt WORTSTROM
System für die modulare Analyse von Texten (SymTex)
SymTex wurde im Rahmen des Forschungsprojekts WORTSTROM entwickelt. Das Diktionärsystem kann für alle Formen von Texten eingesetzt werden. Konstruiert wurde SymTex allerdings in erster Linie für die Analyse programmatischer Texte. Nach Brezinka (1978, 253) werden darunter vor allem solche Texte gezählt, in denen es im weitesten Sinne um „weltanschaulich-politische“ Themen geht, eng verbunden mit finalen und instrumentellen Wertvorstellungen. Politische Reden und auch Schriften, z.B. Parteiprogramme, Verfassungen, aber auch z.B. Unternehmens- und Führungsgrundsätze, praktische Erziehungslehren etc., sind prototypische Beispiele für programmatische Texte.
Das System ist ausführlicher beschrieben bei Niebisch (2015). Wir konzentrieren uns daher hier auf einige wesentlichen Grundlagen und Hintergründe.
Bei der Entwicklung von SymTex standen eine ganze Reihe von theoretischen Bezügen im Fokus, die normalerweise verschiedenen psychologischen Theorietraditionen zugerechnet werden, aber nach näherer Analyse vielfältige Verbindungen aufweisen und miteinander „kompatibel" sind. Im Vordergrund standen zunächst Studien zu Wertorientierungen (im interkulturellen Vergleich) und zum Wertewandel (zsfd. u.a. Rokeach, 1979; Schwartz, 1994, Schwartz & Boehnke, 2004). Daneben wurden bei der Entwicklung von SymTex folgende Theorie- und Forschungsbereiche berücksichtigt:
Wertorientierungen als Ausgangspunkt
Ausgangspunkt war zunächst die Frage, wie man die kommunizierten Überzeugungen bzw. Ideologien (im weitesten Sinne) politischer Akteure verständlich, prägnant und dennoch differenziert charakterisieren kann, ohne dabei zu detailorientiert oder gar „biografisch“ zu werden. Werte scheinen in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu spielen.
Nach Arzheimer (2008, 86) „handelt es sich bei Ideologien um Systeme von Ideen, Werten und Überzeugungen, die: a) eine gewisse Stabilität aufweisen, b) von relevanten gesellschaftlichen Gruppen geteilt werden, c) eine bestimmte Diagnose der sozialen und politischen Realität beinhalten, d) relativ abstrakte Aussagen über eine wünschenswerte soziale und politische Realität treffen, e) einen Katalog von konkreteren politischen Maßnahmen implizieren, mit deren Hilfe sich die Lücke zwischen c) und d) schließen lässt, f) Handlungsappelle an bestimmte soziale Gruppen richten und g) eine Legitimation für die Verteidigung, die Reform oder die radikale Veränderung der grundlegenden sozialen und politischen Verhältnisse einer gegebenen Gesellschaft bieten.“
Und weiter schreibt Arzheimer: „Ideologien sind somit eng mit einem anderen zentralen Konzept der politischen Soziologie, nämlich dem der (gesellschaftlichen) Werte bzw. Wertorientierungen verwandt …, da sie Aussagen über die Hierarchie konkurrierender Werte treffen und Anweisungen für die Realisierung verschiedener Konzepte der wünschenswerten Gesellschaft beinhalten.“
Aus der Perspektive der Ausführungen von Arzheimer sind es also vor allem die finalen und instrumentellen Werte bzw. Werteprioritäten, die die Unterschiede im politischen Denken sowie damit einhergehend in der politischen Kommunikation ausmachen.
In politischen (wie überhaupt in programmatischen) Texten wird sehr häufig auf solche Wertkonzepte Bezug genommen. Die Häufigkeit mit der bestimmte Werte im Verhältnis zu anderen Werten betont werden, scheint dabei einen hohen Diskriminationswert für eine bestimmte politische Denkorientierung zu haben: Wer beispielsweise „Sicherheit“ deutlich stärker betont als „Freiheit“, hat vermutlich andere politische Vorstellungen und Absichten, als derjenige, bei dem es sich umgekehrt verhält.
Werte werden häufig als „Kriterien des Wünschenswerten“ bezeichnet und davon gibt es bekanntlich sehr viele. Dementsprechend vielfältig sind auch die Versuche, diese auf einige wenige Basiswerte zu reduzieren, nach Ähnlichkeit zu strukturieren und kritische Beiträge zur gesellschaftspolitischen Wertediskussion zu liefern (vgl. u.a. Prange, 2006; Schorlemmer, 2003, Erstveröfftl. 1995). So wertvoll und lesenswert solche Werke auch sind, bleiben sie hinsichtlich der Strukturierung von Werten eher unbefriedigend, da diese Ordnungsversuche mehr oder weniger intuitiv nach dem Werteverständnis der Autoren vorgenommen worden sind.
Von besonderem Interesse waren deswegen empirische Arbeiten zur Differenzierung von Werten (und Kulturen, zsfd. Müller & Gelbrich, 2004), wobei vor allem die umfangreichen Studien von Schwartz und Nachfolgearbeiten für die Entwicklung von SymTex brauchbar erschienen. (u.a. Schwartz 1994, 2004; Bardi & Schwartz, 2003; Bilsky & Schwartz, 1994; Bilsky & Jehn, 2002; Mohler & Wohn, 2005).
Das empirische Wertemodell von Schwartz
Schwartz ging der Frage nach: „Are there universal aspects in the structure and contents of human values?“. Die Fragestellung war nicht neu, denn schon Rokeach (1979) hatte die Vermutung geäußert, dass der großen Anzahl an differenzierbaren Wertkonzepten nur eine kleine Anzahl von Werte-Clustern, eben Basiswerten, zugrunde liegt.
Auf der Basis von Befragungsstudien mit dem Schwartz-Value-Survey wurden die individuellen Werteprioritäten in 44 Ländern erhoben, mit 97 Stichproben und insgesamt 25.863 Befragten. Schwartz kam nun zu dem Ergebnis, dass es offensichtlich eine solche universelle, kulturübergreifende Struktur von Wertebereichen gibt. In allen untersuchten Ländern scheint man von den gleichen Werten auszugehen (es gibt also keine wesentlich anderen Werte), wobei sich aber Menschen und Kulturen stark in der Priorisierung von Werten unterscheiden.
Die folgende Abbildung zeigt das idealtypische Strukturmodell der statistischen Auswertungen - vor allem mit Faktorenanalysen und Multidimensionalen Skalierungen. Das Zircumplex-Modell unterscheidet zehn Basiswerte und vier übergeordnete Wertedimensionen (Faktoren 2. Ordnung).
Für Schwartz repräsentieren Werte thematisch voneinander abgrenzbare Ziele (conceptions of the desirable), die im Motivationsgeschehen maßgegeblich mitbestimmen, welche (sozialen) Handlungen gewählt, wie Menschen und Ereignisse bewertet, eigenes oder fremdes Verhalten erklärt werden, etc. Vor dem Hintergrund dieser Betrachtungsweise kann das Modell von Schwartz geradezu als eine empirische Klassifikation von individuellen oder gesellschaftlichen „Motiven" betrachtet werden. Die damit gegebene Nähe zur motivationspsychologischen Forschung wird aber bemerkenswerterweise kaum in der einschlägigen Literatur diskutiert.
Nach Bilsky & Jehn ist das Modell von Schwartz deswegen interessant, da es „ … sich nicht nur auf die bloße Unterscheidung von Wertetypen beschränkt. Vielmehr spezifiziert die Theorie eine Reihe von dynamischen Relationen zwischen diesen Wertetypen durch den Bezug auf ihre wechselseitigen Vereinbarkeiten und Konflikte beim Verfolgen der betreffenden Ziele“ (2002, 216). Mit anderen Worten: z.B. „Self-Direction“ und „Security“ stehen in einem gewissen Spannungs- und Konfliktverhältnis, was im Modell durch die gegenüberliegenden Positionen deutlich wird. Cameron & Quinn (1999), die unabhängig von Schwartz ein ähnliches, aber weniger differenziertes Modell für die Kulturanalyse in Organisationen entwickelt haben, sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Competing Values Framework".
Wie Bilsky & Jehn weiterhin betonen, haben die Studien von Schwartz „ … das zeitgenössische Denken über Wertestrukturen … maßgeblich beeinflusst“ (2002, 212). Das Modell scheint derzeit „State of the Art“ zu sein - auch wenn es inzwischen kritischen empirischen Analysen unterzogen wurde, die nicht immer zu modellkonformen Ergebnissen geführt haben (u.a. Mohler & Wohn, 2005).
Alternative, ebenfalls empirische Wertstrukturierungen (Inglehart: Materialistische versus postmaterialistische Werte; Klages: Pflicht- und Akzeptanzwerte versus Selbstentfaltungswerte; Hofstede: Maskuline versus feminine Werte, Unsicherheitstoleranz versus Unsicherheitsvermeidung, hohe und niedrige Machtdistanz, etc.) können jeweils als Sonderfall des Wertemodells von Schwartz betrachtet werden - was aber hier nicht weiter diskutiert werden soll. Dem Wertemodell von Schwartz kommt insofern ein hoher Integrationwert zu. Es wurde daher als Grundlage für die Abgrenzung und Entwicklung der wertthematischen SymTex-Diktionäre herangezogen.
Allerdings wird das Gesamtsystem der werteorientierten SymTex-Diktionäre nicht als eine direkte inhaltsanalytische Übersetzung des Modells von Schwartz betrachtet. Vor dem Hintergrund politischer Kommunikation erschienen weitergehende Differenzierungen, Ergänzungen und andere Zuordnungen sinnvoll. So sind beispielsweise „Stimulation“ und „Hedonism“ als Unterkategorien den emotionsthematischen Ausdrücken in SymTex zugeordnet und bei den recht groben Kategorien „Universalism“ sowie „Benevolenz“ (Wohlwollen) waren politisch relevantere Abgrenzungen vorzunehmen.
SymTex im Überblick
Die Diktionäre in SymTex sind zunächst einmal in zwei Gruppen aufgeteilt worden: Einerseits solche, bei denen (wert-) und (bedrohungs-) thematische, also inhaltliche Aspekte im Vordergrund stehen und andererseits solche, mit denen stilistische Merkmale der Kommunikation erfasst werden.
Bei dieser Trennung ist allerdings zu berücksichtigen, dass Stil und Inhalt nicht immer sauber voneinander zu trennen sind. So zeigen beispielsweise psycholinguistische Unteruchungen zu Sprachmerkmalen von Frauen und Männern wiederholt, dass Frauen, über verschiedene Situationen hinweg, stärker als Männer dazu neigen, Emotionen anzusprechen bzw. emotionsthematische Ausdrücke zu verwenden. Ist das nun ein Stilmerkmal der Frauensprache oder neigen Frauen einfach mehr dazu, Emotionen zu thematisieren? Nach Ludwig Reiners „Stilkunst“, einem „Lehrbuch deutscher Prosa“, sind Inhalt und Stil eines Textes auf engste miteinander verbunden: „Jeder Gedanke verwandelt sich mit der Form seiner Darstellung“ (1971, 46).
Vor diesem Hintergrund erschien es sinnvoll, eine dritte Zuordnung vorzunehmen - Stilprägende thematische Kategorien. Streng genommen handelt es sich bei diesen Diktionären um thematische. Mit ihnen werden allerdings inhaltliche Aspekte der Kommunikation erfasst, die die „Tonalität“, die „Stimmung“, das „Klima“ im Sinne sogenannter Sentiment-Analysen stark prägen (z.B. eine kämpferische, konfrontative, konstruktive, emotional-bewegende, polemische, unsachliche Rede).
Die folgenden Tabellen geben einen Überblick über das SymTex-Kategoriensystem (Legende: H = Hauptkategorie, U-Kat. = Unterkategorie, B-Kat. = Basiskategorien). Eine ausführlichere Beschreibung der einzelnen Kategorien ist in der jeweiligen Rubrik zu finden.
In manchen Fällen, z.B. bei der Exploration oder Prüfung von Hypothesen, werden bestimmte Worte bzw. Basiskategorien benötigt, die aber den definierten Kategorien (noch) nicht zugeordnet sind oder auch nicht sollen. Mit „Quick-Konzept“ ist ein zusätzlicher Diktionär eingerichtet worden, in dem diese Ausdrücke gesammelt werden.
Über alle fertiggestellten Diktionäre werden insgesamt rund 80 Tsd. Suchausdrücke erfasst, was nicht zuletzt deutlich macht, warum SymTex modular aufgebaut wurde. Die Ausschöpfungsquote über alle Diktionäre, d.h. der prozentuale Anteil an erfassten Worten im Verhältnis zu allen Worten eines Textes, ist dementsprechend hoch. Sie liegt im Durchschnitt, je nach Textgattung, zwischen 30 und 50 Prozent.
Ausführlichere Beschreibung der (wert-) thematischen Kategorien ►
Ausführlichere Beschreibung der (bedrohungs-) thematischen Kategorien ►
Ausführlichere Beschreibung der stilprägend thematischen Kategorien ►
Ausführlichere Beschreibung der stilistischen Kategorien ►
Ausführlichere Beschreibung der weiteren Kategorien ►
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