Psychologie politischer Reden und Kommunikation
Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik
CMC Forschungsprojekt WORTSTROM
Politische Rede im Wortlaut
Helmut Schmidt: Große Regierungserklärung am 24.11.1980
Redeanalyse (Kommunikationsprofil) ►
„Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Freie Demokratische Partei haben am 5. Oktober von den Bürgerinnen und den Bürgern unseres Landes, mit verstärkter Mehrheit, abermals den Auftrag erhalten, die sozial-liberale Koalition und deren politischen Kurs fortzusetzen: den Kurs des Friedens, der Sicherheit und der guten Nachbarschaft - nach außen und im eigenen Land.
Die Bundesregierung, ebenso wie die vorhergehende, ist die Regierung aller Bürger.
Der Wahlkampf ist vorüber. Ich begrüße die Appelle des Alterspräsidenten und des Bundestagspräsidenten als erste Schritte in Richtung auf normale parlamentarische Arbeit.
Unsere Nachbarn und Freunde in aller Welt haben die Kontinuität unserer Politik begrüßt. Präsident Giscard d'Estaing sagte:
Ich lege allergrößten Wert auf die Weiterführung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, wie wir sie seit sechs Jahren mit dem Bundeskanzler entwickelt haben. Diese Zusammenarbeit stellt einen unersetzlichen Beitrag zum Fortschritt und zur Stabilität Europas dar.
Präsident Giscard hat mit diesem Satz Millionen von Deutschen und Franzosen aus dem Herzen gesprochen.
Die beiden Fraktionen und Parteien stehen gemeinsam für Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein.
Dabei werden die vor uns liegenden Jahre schwierig: in der Weltpolitik, in der Weltwirtschaft und infolgedessen auch im eigenen Land. Es kommt an auf Einsicht in die vielfältigen, komplexen Zusammenhänge unserer Welt, auf entschlossenes gemeinschaftliches Handeln in Konzentration auf die wichtigen Aufgaben. Wir sind nicht Objekt der Geschichte. Wir sind handlungsfähig - und wir sind handlungswillig. Je nachdem, wie wir uns politisch entscheiden, kann unser Land in zehn oder zwanzig Jahren sehr verschieden aussehen.
Wir werden unsere Aufgaben mit Mut anpacken. Und der Mut in die Zukunft ist berechtigt. Denn wir dürfen auf den Fleiß setzen, auf die Intelligenz und das Verantwortungsbewußtsein der Deutschen, die dieses Land nach 1945 mit ihrer Arbeit, buchstäblich mit ihren Händen, aufgebaut haben.
Unser Mut ist berechtigt, denn wir wissen aus Erfahrung, was wir in den 70er Jahren ökonomisch und sozial trotz der beiden Ölpreisexplosionen und der Weltrezession geleistet haben. Wir können auf unsere Umstellungsfähigkeit und unseren Leistungswillen vertrauen.
Unser Mut ist berechtigt, denn wir haben im Laufe von Jahrzehnten ein vorbildliches soziales Gemeinwesen gestaltet. Der soziale Frieden in unserem Land ist gefestigt.
Und schließlich: Unser Mut ist berechtigt, denn wir haben erfahren, was Partnerschaft ist und daß wir uns auf unsere Freunde in der Welt verlassen können.
Unsere Jugend will sich für eine bessere Zukunft engagieren. Wir freuen uns darüber, daß junge Menschen, daß Erstwähler bei der Bundestagswahl besonders zahlreich für die sozial-liberale Koalition gestimmt haben. Ich sehe darin eine Verpflichtung. Auch dies gehört zu den Grundlagen für unseren Mut zur Zukunft.
Meine Damen und Herren, eine Regierungserklärung kann nicht alle Probleme und deren voraussichtliche Lösungen darstellen. Sie kann nur Grundzüge vortragen. Die Verabredungen zwischen den beiden Koalitionsparteien gehen zum Teil weiter ins Detail. Wichtig vor allem ist: Wir haben unser beider Fähigkeit zu gemeinsamer Leistung in den letzten Jahren weiterhin ausgebaut.
Mit unserer Außenpolitik wollen wir unseren Beitrag zur Sicherung des Friedens in der Welt leisten. Wir müssen unserer gewachsenen Mitverantwortung gerecht werden. Wir wollen aber auch unsere deutsche Rolle in der Welt nicht zu groß schreiben oder zu groß schreiben lassen, damit nicht Erwartungen geweckt werden, die wir nicht erfüllen können.
Unsere Außenpolitik ist klar und berechenbar. Wir haben damit Vertrauen erworben. In den 80er Jahren werden Sicherheit und Wohlstand unseres Landes von dieser Politik und von der wirksamen Vertretung unserer Interessen abhängen.
Die Grundlinien der Außenpolitik sind:
Erstens: Ohne Gleichgewicht gibt es in der Welt keinen verläßlichen Frieden. Wir können uns sicher fühlen, weil die Atlantische Allianz das Gleichgewicht wahrt, zu dem wir unser volles politisches und militärisches Gewicht in die Waagschale des Westens gelegt haben.
Zweitens: Das Gleichgewicht ist zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung des Friedens. Deshalb muß der Frieden auch durch eine Politik der Rüstungsbegrenzung und der Zusammenarbeit gesichert werden. ‚Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung’ - ich zitiere den Harmel-Report aus dem Jahre 1967 - ‚sind seit über einem Jahrzehnt die beiden Kernstücke des sicherheitspolitischen Konzepts der Allianz.’
Wir werden die Politik der Zusammenarbeit mit unseren östlichen Nachbarn im Interesse der friedlichen Entwicklung in Europa und der Zukunft des ganzen deutschen Volkes fortsetzen.
Drittens: Die Europäische Gemeinschaft bleibt für uns unverzichtbare Grundlage für Frieden, für Freiheit, für sozialen, für wirtschaftlichen Fortschritt. Auch sie dient dem Gleichgewicht.
Viertens: Mit unserer Politik der gleichberechtigten Partnerschaft werden wir helfen, die wirtschaftliche, die politische und die kulturelle Unabhängigkeit der Länder der Dritten Welt langfristig zu sichern.
Meine Damen und Herren, nur im Atlantischen Bündnis findet die Bundesrepublik Deutschland ihre Sicherheit. Erst diese Sicherheit ermöglicht uns in Zusammenarbeit mit unseren Partnern eine erfolgreiche Politik der Entspannung, der Rüstungsbegrenzung und der Zusammenarbeit mit Staaten anderer Gesellschaftsordnungen.
Kern des Atlantischen Bündnisses bleibt die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie entspricht gemeinsamen lebenswichtigen Interessen.
Diese Partnerschaft beruht auch auf gemeinsamen Wertvorstellungen, wie sie zuerst von den Franzosen entwickelt, wie sie vor über 200 Jahren von den ‚Gründungsvätern’ der USA formuliert wurden und wie sie mindestens seit 1848 zur deutschen Demokratie gehören.
Im ständigen und fruchtbaren Kontakt zwischen Deutschen und Amerikanern hat sich in den letzten 35 Jahren eine tiefgegründete Freundschaft entwickelt.
Das hat sich auch bei den Gesprächen voll bestätigt, die Bundesminister Genscher und ich in der vergangenen Woche in Washington mit Präsident Carter und mit dem künftigen Präsidenten Reagan geführt haben. Im Übergang zur neuen amerikanischen Regierung fand unser Besuch zum richtigen Zeitpunkt statt.
Auf Grund eingehender Gespräche mit Präsident Giscard d'Estaing und mit Premierminister Thatcher konnte ich dem künftigen Präsidenten und seinen Beratern in voller Kenntnis der Auffassung auch unserer wichtigsten europäischen Partner gegenübertreten. Es waren dies Treffen mit vielen alten Bekannten und mit vielen guten Freunden. Wir waren von der Freundschaftlichkeit des Empfangs beeindruckt, und ich bin dankbar dafür, daß es diese Gelegenheit zum Gedankenaustausch mit dem neuen Präsidenten und mit seinen Mitarbeitern gegeben hat.
Gemeinsam mit unseren Partnern im Bündnis wirken wir darauf hin, daß in Rüstungskontrollverhandlungen mit dem Osten ein stabiles militärisches Gleichgewicht auf einem möglichst niedrigen Niveau erreicht wird, damit der Rüstungswettlauf gebremst und die Last der Rüstungskosten vermindert wird. Die Menschheit könnte sich zu Tode rüsten, wenn es nicht gelänge, den Rüstungswettlauf zu stoppen.
Daher sind die Verhandlungen der Großmächte über die Begrenzung strategischer Waffen von zentraler Bedeutung. Wir setzen uns mit Nachdruck dafür ein, den SALT-Prozeß fortzuführen. Ich freue mich, dem Deutschen Bundestag aus meinem Gespräch mit Governor Reagan berichten zu können, daß seine Überlegungen in die gleiche Richtung weisen.
Wir begrüßen es, daß am 17. Oktober dieses Jahres Gespräche zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion über nukleare Mittelstreckenwaffen eröffnet worden sind. Unser Bündnis hat für diese Gespräche mit seinem Doppelbeschluß vom Dezember des vorigen Jahres die Voraussetzungen geschaffen. Wir halten an beiden Teilen dieses Doppelbeschlusses fest:
- Der Westen muß angesichts der gefährlich zunehmenden sowjetischen Überlegenheit im Bereich der eurostrategischen Waffen sein eigenes Potential in Europa modernisieren und stärken.
- Aber - ebenso wichtig! - wir wollen beiderseitige Begrenzungen auf diesem Felde.
Bei den Wiener Verhandlungen über beiderseitige und ausgewogene Truppenverminderungen in Mitteleuropa streben wir mit unseren Bündnispartnern ein baldiges Zwischenabkommen an.
Wir halten an dem Prozeß fest, der durch die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa und die Verabschiedung der Akte von Helsinki eingeleitet worden ist. Bei der derzeitigen Nachfolgekonferenz in Madrid hat der Bundesminister des Auswärtigen klargestellt, daß die Schlußakte gerade in schwierigen Zeiten in allen ihren Teilen Richtschnur für das Handeln aller Teilnehmerstaaten sein muß. Auf dieser Grundlage wollen wir bauen. Entspannung kann keine Einbahnstraße sein. Dabei sind für uns Deutsche die Einhaltung der Prinzipienerklärung und Erleichterungen zugunsten der Menschen von gleicher Wichtigkeit.
Wir unterstützen den französischen Vorschlag einer Konferenz zur Abrüstung in Europa, welche vertrauensbildende Maßnahmen für den ganzen europäischen Kontinent vereinbaren soll. Wir streben auch eine europäische Energiekonferenz an.
Ein Wort zur Bundeswehr, die im Spannungsfall dank unserer Wehrpflicht und dank gut ausgebildeter Reservisten wesentlich verstärkt werden kann. Wir leisten damit unseren Beitrag zur gemeinsamen Verteidigung.
Unsere Freiwilligen, Wehrpflichtigen, Berufssoldaten prägen mit ihrer Einstellung zum demokratischen Rechtsstaat, mit ihrer Bereitschaft zum Dienen, unseren Verteidigungsbeitrag. Sie tragen mit ihrem Wehrdienst zum Gleichgewicht bei, sie tragen damit zum Frieden bei. Sie bringen Opfer für die Gemeinschaft.
Die Bundeswehr hat in 25 Jahren ihren festen Platz in unserer Gemeinschaft und sie hat Anerkennung gefunden. Es ist deshalb für viele Soldaten unverständlich und erschreckend - und auch ich bin sehr betroffen -, wenn sie in ihrer Pflichterfüllung belastet werden durch Angriffe und Verhöhnungen ihres Gelöbnisses.
Die Bundeswehr ist geprägt durch eine demokratische Tradition, nicht durch eine militaristische Tradition.
Tradition darf nicht in Widerspruch zu den Grundwerten unserer Gesellschaft stehen. Das ist auch nicht der Fall. Es ist aber zu wünschen, daß Tradition Bundeswehr und Bürger verbindet. Ausdrucksformen von Traditionen sind zeitgebunden. Deshalb sind wir bereit, über die Formen zu debattieren. Aber die Debatte darf nicht als Vehikel für Angriffe auf Bundeswehr und Bündnis mißbraucht werden.
Wir sorgen für unsere Soldaten und deren soziale Absicherung. Wir wollen die Stellung der gewählten Vertrauensmänner in der Truppe stärken, den Wehrsold erhöhen. Wir sind uns der Probleme der Altersstruktur der Berufssoldaten und des Verwendungsstaus bewußt.
Eine gründliche Modernisierung in den vergangenen zehn Jahren hat die Leistungskraft der Bundeswehr gestärkt. Wir haben modern ausgerüstete und gut ausgebildete Streitkräfte mit hohem Bereitschaftsstand, Streitkräfte, die in der NATO als beispielhaft gelten. Unsere Verteidigungsaufwendungen enthalten einen besonders hohen Investitionsanteil, weil wir eine Wehrpflichtigenarmee haben. Unsere Verteidigungsausgaben sind in den letzten zehn Jahren durchschnittlich pro Jahr um knapp drei Prozent real gestiegen. Wir haben uns verpflichtet, uns auch in Zukunft um einen gleichen Anstieg bemühen zu wollen. Wir werden unsere Verpflichtung erfüllen.
Die zivile Verteidigung ist Teil der Gesamtverteidigung. Viele Tausend freiwilliger Helfer leisten einen wichtigen Dienst.
Sicherheit und Stabilität in Europa werden zunehmend durch Krisen in der Dritten Welt berührt. Um so wichtiger ist es, daß wir uns im Bündnis abstimmen und daß wir dazu beitragen, daß das Instrumentarium der Vereinten Nationen zur Krisenbeherrschung voll eingesetzt wird.
Die Erhaltung und der Ausbau der Europäischen Gemeinschaft bleiben eine zentrale Aufgabe unserer Politik, die das Ziel der Europäischen Union nicht aus den Augen verliert. In den vergangenen vier Jahren haben wir in der Gemeinschaft
- das Parlament zum ersten Mal direkt gewählt,
- das Europäische Währungssystem geschaffen,
- die innere Krise wegen des britischen Haushaltsbeitrags gelöst,
- protektionistische Tendenzen bekämpft und die Außenbeziehungen der Gemeinschaft, insbesondere im Nord-Süd-Verhältnis, erheblich ausgebaut,
- den Beitritt Griechenlands ausgehandelt und schließlich die Verhandlungen mit Portugal und Spanien auf den Weg gebracht.
Zur Leistungsbilanz der Europäischen Gemeinschaft gehört auch die Europäische Politische Zusammenarbeit - das ist die außenpolitische Zusammenarbeit. Darin können die Regierungen inzwischen auf zehnjähriger Erfahrung in intensiver Abstimmung und gemeinsamer Diplomatie aufbauen, um ihren wachsenden Beitrag zur weltpolitischen Krisenbewältigung zu leisten.
Insgesamt hat die Europäische Gemeinschaft gute Fortschritte gemacht.
Andererseits hat sie auch erhebliche Probleme. In der europäischen Agrarpolitik wird sich die Bundesregierung angesichts der wachsenden strukturellen Überschüsse mit Nachdruck dafür einsetzen, daß marktwirtschaftliche Grundsätze stärker als bisher verwirklicht werden.
Das bedeutet eine vorsichtige Preispolitik, die primär auf die Wiederherstellung des Marktgleichgewichts ausgerichtet werden muß.
Es bedeutet, daß die Überschußproduktion durch Beteiligung der Erzeuger an der Finanzierung der Überschüsse verringert werden muß, und es bedeutet, daß zur Wiedererlangung des Gleichgewichts auf den Märkten schließlich die landwirtschaftlichen Interventionsmechanismen aufgelockert werden müssen.
Die Bundesregierung hält verstärkte Importbehinderungen oder aggressive Exportförderung nicht für geeignete Lösungen der Überschußprobleme der Europäischen Gemeinschaft.
Zur Finanzierung: Was die Mehrwertsteuerabführung an die Gemeinschaft angeht, so darf sie auch weiterhin ein Prozent der Bemessungsgrundlage nicht überschreiten. Darüber sind sich alle Mitgliedstaaten einig. Der französische Präsident und die britische Premierministerin haben dies kürzlich noch einmal ausdrücklich bestätigt. Deshalb muß zum Beispiel der Anstieg der Agrarausgaben künftig deutlich unter dem Anstieg der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft liegen.
Meine Damen und Herren, als die sozial-liberale Koalition vor 11 Jahren ihre Politik eines vertraglich geregelten Nebeneinanders der beiden deutschen Staaten einleitete, konnte niemand darüber im Zweifel sein, daß uns auf diesem Wege Schwierigkeiten, Belastungen und Rückschläge nicht erspart bleiben würden. Die Bundesregierung hat sich davon zu keiner Zeit beirren lassen. Auch in schwierigen Zeiten haben wir zäh und beharrlich an unseren Zielen festgehalten.
Unser langfristig angelegtes Bemühen um eine Verbesserung der Lage der Deutschen, die unter der Teilung leiden, hat vieles bewegt. Millionen von Menschen sind gereist, Verwandte telefonieren miteinander, Familien sind wieder zusammengekommen. Es werden Straßen gebaut nach Berlin. Der Handel hat sich kräftig entwickelt, um einiges zu nennen.
Insgesamt haben wir verhindern können, daß die Deutschen sich auseinanderleben.
Diese Politik ist und sie bleibt eingebettet in die allgemeine Politik des Ausgleichs zwischen West und Ost. Wir bedauern, daß die DDR wenige Wochen vor dem Madrider KSZE-Folgetreffen durch Maßnahmen, zum Beispiel die Erhöhung der Mindestumtauschsätze, in den Bestand dessen eingegriffen hat, was an Verbesserungen für die Menschen erreicht war.
Dies ist ein schwerer Rückschlag für alle Deutschen.
Die Bundesregierung wird sich damit nicht abfinden. Sie wird an ihrem Ziel festhalten, die Lage der Deutschen durch Verbesserung unserer Beziehungen zur DDR zu erleichtern. In Wahrheit gibt es keinen anderen Weg. Wir bieten auch für die Zukunft Zusammenarbeit und Ausbau der Beziehungen mit der DDR an. Wir denken nicht daran, Abgrenzungsakte unsererseits mit Abgrenzungsakten zu beantworten; denn dies würde die Gräben zwischen Deutschen und Deutschen nur noch vertiefen.
Wir setzen den Willen zur Zusammenarbeit gegen Abgrenzung.
Ich appelliere an alle Deutschen, die Ausdauer und die Geduld aufzubringen, die wir brauchen, um die gegenwärtig besonders schwierige Wegstrecke zu überwinden.
Beide deutsche Staaten haben gemeinsame Verantwortung und gemeinsame Aufgaben. Ihnen kann sich auch die Führung der DDR nicht entziehen. Der Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und ich, wir konnten für alle Deutschen sprechen, als wir sagten, daß von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehen darf. Die Normalisierung der Zusammenarbeit und die aktive Friedenssicherung in Europa muß die beiden deutschen Staaten einschließen.
Wir kennen die Grundunterschiede in der politischen Zielsetzung der beiden Staaten. Wir wollen auf einen Frieden in Europa hinarbeiten, in dem das deutsche Volk frei über sich selbst bestimmen kann. Die DDR-Führung setzt ein anderes Ziel. Wir wollen das Bewußtsein von der Einheit der deutschen Nation wachhalten. Die DDR-Führung will das nicht.
Wir wissen, daß die bestehenden politischen und ideologischen Gegensätze durch praktische Zusammenarbeit nicht überwunden werden können. Sie dürfen auch gar nicht verwischt werden. Diese Gegensätze führen zwangsläufig zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen in grundsätzlichen Fragen, die - wie schon bei Abschluß des Grundlagenvertrages - auch heute nicht gelöst werden können. Wir können uns auch nicht mit Minen und Selbstschußanlagen an der Grenze abfinden.
Aber die wesentlichen Fortschritte in den vergangenen Jahren haben auch gezeigt, daß diese Gegensätze einer praktischen Zusammenarbeit zum Vorteil beider Seiten nicht im Wege stehen müssen.
Ich begrüße, daß der innerdeutsche Handel in den letzten vier Jahren um 50 Prozent auf rund 11 Milliarden DM im Jahr 1980 gestiegen ist. Der kontinuierliche Ausbau der Wirtschafts- und Verkehrsbeziehungen, den wir wünschen, muß natürlich mit der Entwicklung der Gesamtbeziehungen im Einklang bleiben.
Wir sind für eine Intensivierung der kulturellen Beziehungen zur DDR. Deren Führung sollte erkennen, daß sie nicht nur uns, sondern auch sich selbst schadet, wenn sie ihren Künstlern verwehrt, zu Gastspielen zu uns zu kommen.
Aus ersten Gesprächen über einzelne Umweltfragen müssen sich praktische Verhandlungen entwickeln.
Die Arbeit unserer Journalisten in der DDR ist abermals Beschränkungen unterworfen. Ich bedaure solche Rückfälle. Sachliche Berichterstattung aus der DDR liegt im Interesse beider Seiten. Voraussetzung dafür ist, daß die Arbeitsmöglichkeiten unserer Journalisten nicht eingeschränkt, sondern vielmehr verbessert werden.
Die Bundesregierung ist auch in Zukunft hier im Bundestag und in seinen Ausschüssen an der sorgfältigen Erörterung ihrer Deutschlandpolitik interessiert. Sie ist darauf eingestellt, Anregungen aufzunehmen. Über die Grundrichtung ihrer Deutschlandpolitik kann es dabei keinen Zweifel geben.
Meine Damen und Herren, wir alle denken an das Schicksal aller Deutschen. Und wir nehmen Anteil an dem, was die Deutschen in der DDR denken. Wir wollen die DDR nicht bevormunden.
Nach wie vor streben wir das Gespräch mit der Führung der Deutschen Demokratischen Republik an. Angesichts der jetzt entstandenen Lage werden wir dabei den Gesamtzusammenhang unserer Beziehungen zu berücksichtigen haben.
Der Stadt Berlin und ihren Bürgern gilt unser politisches, unser menschliches und wirtschaftliches Engagement. Dank der Anstrengungen des Senats, der Unternehmer, der Arbeitnehmer, auch des Bundestages und der Bundesregierung, hat Berlin vollen Anschluß an unsere wirtschaftliche Entwicklung gewonnen. In Berlin ist die Besinnung auf die eigene Leistungskraft gegenüber dem Ruf nach Hilfe von außen deutlich in den Vordergrund getreten; der letzte Wirtschaftsbericht des Senats gibt davon Zeugnis.
Mir imponieren die Kraft und die Vielfalt des geistigen Lebens der Stadt, ihrer Theater, ihrer Konzerte, auch ihrer Literatur und ihrer Museen.
Wir werden für Berlin weiter mit den Drei Mächten zusammenarbeiten, die auf der Basis ihrer Rechte und Verantwortlichkeiten die Sicherheit, die Freiheit der Stadt verbürgen. Die Bundesregierung geht davon aus, daß das Viermächte-Abkommen strikt eingehalten, voll angewandt wird. Dies liegt im Interesse aller Beteiligten - besonders dann, wenn die weltpolitische Lage schwierig ist.
Die Förderung des Zonenrandgebiets wollen wir ebenso fortsetzen.
Die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition ist zu einem wesentlichen Element der West-Ost-Beziehungen in Europa insgesamt geworden. Wir wollen den Rahmen der Verträge und Abreden nicht nur ausfüllen, sondern ihn auch weiter entfalten.
Die Bereitschaft zu einer langfristig angelegten Zusammenarbeit kennzeichnet unser Verhältnis zur Sowjetunion. Ich erinnere an die Erklärungen anläßlich meiner Begegnungen mit Generalsekretär Breschnew hier in Bonn vor zwei Jahren und in Moskau in diesem Sommer. In diesen Erklärungen kommt auch das Interesse der Sowjetunion an einer Zusammenarbeit der beiden deutschen Staaten zum Ausdruck. Die Bundesregierung will - gerade in schwierigen Zeiten - den Gesprächsfaden mit der Sowjetunion nicht abreißen lassen.
Wir stellen aber auch fest, ‚daß durch die Ereignisse in Afghanistan die Entspannung schwieriger und unsicherer geworden ist’. Dies waren die Worte der deutsch-französischen Erklärung vom Februar dieses Frühjahrs. Dort steht auch - ich zitiere -, ‚daß die Entspannung einem neuen Schlag gleicher Art nicht standhalten würde’. Deshalb verurteilen wir mit der überwältigen Mehrheit der Staatengemeinschaft die anhaltende bewaffnete Intervention der Sowjetunion in Afghanistan und fordern den vollständigen, den bedingungslosen Abzug ausländischer Truppen aus Afghanistan.
Auf der Grundlage unserer Verträge wollen wir den Weg der Zusammenarbeit mit Polen weitergehen. Wie bisher sollten sich dabei die humanitären Fragen lösen lassen.
Wir verfolgen die Entwicklung in Polen mit Aufmerksamkeit und Anteilnahme. Wir mischen uns nicht ein. Aber wenn wir uns bemühen, der polnischen Führung auf ihren Wunsch hin bei Überwindung ihrer gegenwärtigen wirtschaftlichen und finanziellen Krise Hilfe zu leisten, so lassen wir uns das von niemandem als Einmischung vorwerfen.
Die Bundesregierung sucht eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Ländern der Dritten Welt auf der Grundlage der Gleichberechtigung. Wir lehnen jedes Vormachtstreben in der Dritten Welt ab. Wir befürworten den Aufbau regionaler Stabilitäts- und Kooperationsstrukturen.
Wir begrüßen die Öffnung Chinas für die friedliche internationale Zusammenarbeit. Wir wollen unsere Beziehungen zur Volksrepublik ausbauen.
Wir werden unseren Beitrag zum Nord-Süd-Dialog leisten, zu dem die sogenannte Brandt-Kommission wichtige Anregungen gegeben hat.
Wir haben unsere Entwicklungshilfe in den letzten zwei Jahren nahezu verdoppelt. Sie wird 1981 voraussichtlich etwa doppelt so stark wie der Gesamthaushalt ansteigen. Wir stehen gegenwärtig mit Frankreich an zweiter Stelle aller Geberländer der Welt, hinter den Vereinigten Staaten.
Wir wollen insbesondere die Entwicklung neuer Energiequellen fördern, zum Aufbau einer unabhängigen Ernährungsbasis in den Entwicklungsländern beitragen, und wir wollen unseren Markt für Produkte der Entwicklungsländer offenhalten, mit denen wir ein ganzes Viertel unseres Außenhandels abwickeln.
Ich beabsichtige, an dem für Juni 1981 in Mexiko geplanten Gespräch von Regierungschefs über Nord-Süd-Fragen teilzunehmen, und werde mich dabei vor allem dafür einsetzen, daß zwei Herausforderungen begegnet wird, die sonst zu menschlichen und politischen Katastrophen führen können:
Erstens: Heute leben über vier Milliarden Menschen auf der Welt. Ihre Zahl wächst jedes Jahr um 60 bis 80 Millionen, um so viele Menschen, wie insgesamt in Deutschland leben. In 20 Jahren werden es sechs Milliarden, in weiteren 30 Jahren vielleicht zehn Milliarden Menschen sein. Es ist schwer vorstellbar, wie zehn Milliarden Menschen ausreichend Nahrung und Wohnung, Arbeit und menschenwürdiges Leben finden könnten. Aus dieser Erkenntnis müssen Konsequenzen gezogen werden, und zwar heute, nicht erst in zehn oder zwanzig Jahren, wenn es zu spät sein kann.
Zweitens: Die Ölpreisexplosion hat die Ölrechnung der Entwicklungsländer; die im Jahre 1973 acht Milliarden Dollar betrug, im Jahre 1980 auf beinahe 70 Milliarden Dollar hochgetrieben. Manche Länder - in unserer Nachbarschaft zum Beispiel die Türkei - müssen mehr als die Hälfte aller ihrer Exporterlöse für die dringenden Öleinfuhren ausgeben. Die gesamte Entwicklungshilfe aller westlichen Industrieländer in diesem Jahr reicht nicht aus, um auch nur den Anstieg der Ölrechnung der Entwicklungsländer von 1979 auf 1980 zu decken. Man muß sich diese Größenordnung vor Augen halten.
Hier müssen alle Länder helfen, auch die kommunistischen Industrieländer, vor allem aber die OPEC-Staaten, und zwar mit Direktinvestitionen und mit Zuschüssen.
Das wichtigste Forum des Dialogs zwischen Nord und Süd sind die Vereinten Nationen. Auch insofern werden die Vereinten Nationen als Wirkungsfeld unserer Außenpolitik immer wichtiger. Ich habe dies soeben in einem wertvollen Meinungsaustausch mit Generalsekretär Waldheim in New York bestätigen können und habe dabei erneut festgestellt, wie hoch unsere Beiträge zur Zusammenarbeit in der Weltorganisation eingeschätzt werden.
Wir beteiligen uns aktiv an den Bemühungen um friedliche Konfliktlösungen:
- im Nahen Osten wollen wir gemeinsam mit unseren EG-Partnern auf der Grundlage der Erklärung von Venedig bei der Suche nach einer umfassenden, gerechten, dauerhaften Friedenslösung mithelfen.
- Wir unterstützen die Forderung auf Freilassung der amerikanischen Geiseln in Teheran.
- Im Krieg zwischen Iran und Irak unterstützen wir die Bemühungen der islamischen Staaten und der Vereinten Nationen um einen Waffenstillstand.
- Wir lehnen die RassenpoIitik der Südafrikanischen Republik ab. Wir fördern den friedlichen Wandel und suchen den Dialog mit allen politischen Kräften im Süden des afrikanischen Kontinents, einschließlich der Befreiungsbewegungen.
- Gemeinsam mit ihnen setzen wir unsere Bemühungen energisch fort, Namibia auf friedlichem Wege in die international anerkannte Unabhängigkeit zu führen.
Ich möchte an dieser Stelle abermals an die Regierung der Republik Korea appellieren, dem demokratischen Politiker Kim Dae Jung die Freiheit zu geben.
Wir, meine Damen und Herren, haben in den Vereinten Nationen und im Europarat die Initiative für eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe ergriffen, in den Vereinten Nationen eine Initiative für eine internationale Zusammenarbeit zur Vermeidung neuer Flüchtlingsströme ergriffen.
Wir streben eine weltweite Vereinbarung über den Gewaltverzicht als Instrument der Friedenssicherung an. Wir setzen uns in den Vereinten Nationen für die Offenlegung von Rüstungslieferungen ein und schlagen konkret vor, bei den Vereinten Nationen zwei Register einzurichten: zum einen zur Erfassung der Pro-Kopf-Ausgaben der Staaten für Rüstung und Entwicklungshilfe, zum anderen zur Erfassung der weltweiten Waffenexporte und Waffenimporte.
Meine Damen und Herren, ich komme zu den Aufgaben im eigenen Land. Im Vergleich zu dem Hunger, den Gewalttaten, dem Elend in vielen Regionen der Welt erscheinen die Probleme, vor denen wir im eigenen Lande stehen, relativ geringfügig. Dort draußen geht es um Leben und Tod, hier geht es um Einkommen und Auskommen.
Aber unser Land verlangt auch dazu gestalterische Kraft. Schon um zu bewahren, was wir an Wohlstand, an sozialem Ausgleich, an Freiheit erreicht haben, bedarf es auch des Mutes zur Korrektur und zur schrittweisen Verbesserung.
Es bedarf weiterhin der Reform, der Umstellung, der Modernisierung.
Ich komme auf die einzelnen wichtigsten Probleme nacheinander zu sprechen. Zunächst rede ich vom Öl. Vom Öl unabhängiger zu werden ist eine entscheidende wirtschaftliche und technische Aufgabe, vor der wir stehen. Ohne sichere Energieversorgung keine wirtschaftliche und soziale Stabilität, kein Wachstum, keine Leistungsfähigkeit - weder nach innen noch nach außen.
Die zweite Ölpreisexplosion seit 1978 hat in unserer Volkswirtschaft unübersehbare Spuren hinterlassen: steigende Kosten und steigende Preise, Leistungsbilanzdefizit, steigende Arbeitslosigkeit. Die höhere Ölrechnung entzieht den Bürgern reales Einkommen in der Größenordnung von etwa 30 Milliarden Deutsche Mark pro Jahr! Dieser Kaufkraftentzug kann nicht binnenwirtschaftlich ersetzt werden.
Der Krieg in der Golf-Region hat uns die weltweiten Risiken der Energieversorgung drastisch vor Augen geführt. Zwar haben wir für den kommenden Winter volle Tanks, zwar haben wir zahlreiche Bezugsquellen, aber hohe ÖI- und Erdgaspreise, dazu weltpolitisch bedingte Versorgungsrisiken werden den ganzen 80er Jahren ihren Stempel aufprägen.
Seit 1973 haben sich die Bundesregierungen konsequent darauf eingestellt. Die Ziele unserer Politik sind und bleiben: Weg vom Öl; sparsamer und rationeller Einsatz von Energie; Vorrang der heimischen Kohle; begrenzter Ausbau der Kernenergie; Entwicklung und Einführung erneuerbarer Energien.
Diese Politik zeigt Wirkungen: Unsere Versorgung war stets ausreichend. Der Ölanteil am Energieverbrauch, 1973 noch 55 Prozent, sinkt in diesem Jahr erstmals unter 50 Prozent. Nur noch 7 Prozent unserer Elektrizität kommt aus Öl-Kraftwerken. Das ist ein Erfolg der Verstromungspolitik.
Wir werden übrigens dem Bundestag eine gesetzliche Regelung vorschlagen, um Öl gänzlich aus den Kraftwerken herauszunehmen, und wir streben auf längere Sicht auch eine Verminderung der Verbrennung von Gas in den Kraftwerken an.
Im übrigen wird die Bundesregierung ihre - soweit wie möglich auf marktwirtschaftlichen Grundsätzen beruhende - Energiepolitik fortsetzen. Im kommenden Jahr wird die dritte Fortschreibung des Energieprogramms vorgelegt werden.
Die Richtigkeit unserer Kohlepolitik über die letzten eineinhalb Jahrzehnte ist heute offenkundig - sogar für diejenigen, die damals nicht damit einverstanden waren. Die Finanzhilfen von Bund und Bergbauländern sowie die Verstromungsregelung haben unsere Stromversorgungssicherheit ganz entscheidend verbessert.
Aber auch die Subventionierung der Kohle stößt an finanzwirtschaftliche Grenzen. Stahl und Kohle müssen sich darauf einrichten, daß die Kokskohle künftig nicht mehr im bisherigen Umfang subventioniert werden kann.
Die Bundesregierung hat Anfang 1980 ein Kohleveredelungsprogramm verabschiedet. Die großtechnische Umwandlung von Kohle erfordert erhebliche Anstrengungen in Forschung und Entwicklung, um die Wirtschaftlichkeit zu erreichen und die erheblichen Umweltprobleme, die hier entstehen, unter Kontrolle zu bringen. Wirtschaft und Staat stehen dabei vor großen finanziellen Aufgaben.
Über die Notwendigkeit der friedlichen Nutzung der Kernenergie besteht international breite Übereinstimmung. Die Bundesregierung hält einen weiteren Ausbau der Kernenergie sicherheitstechnisch für vertretbar und auf absehbare Zukunft, d.h. jedenfalls für die nächsten Jahrzehnte, energiepolitisch für notwendig. Sie tritt daher für den begrenzten Ausbau der Kernenergie ein - selbstverständlich unter Vorrang der Sicherheit!
Voraussetzung dafür ist die Gewährleistung der Entsorgung. Dafür sind der Beschluß der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Entsorgung der Kernkraftwerke vom September 1979 und die darauf zurückgehende Neufassung der Grundsätze zur Entsorgungsvorsorge vom Februar 1980 unveränderte Grundlage.
Zusammen mit den Ländern wird die Bundesregierung prüfen, wie die Genehmigungsverfahren für Kernkraftwerke ohne Einbuße an Sicherheit und Rechtsschutz beschleunigt werden können.
Die Bundesregierung lehnt es ab, einen Ausbau der Kernenergie ‚ohne Wenn und Aber’ zu betreiben. Kernenergie darf dem Bürger nicht übergestülpt werden; ihr Ausbau erfordert einen breiten demokratischen Konsens. Die Bundesregierung sieht in dem Bericht der Enquete-Kommission des Bundestages wichtige Beiträge zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion.
Die Bundesregierung erwartet weitere Beiträge an - wenn ich so sagen darf - ‚sanfter Energie’: aus Solaranlagen, aus Wärmepumpen, aus neuen Erfindungen insgesamt. Wir werden solche Entwicklungen weiterhin fördern.
Wir setzen auch auf die Mitarbeit der Industrie, der Energieversorgungsunternehmen, der Länder und Gemeinden, damit Abwärme besser genutzt wird, damit wir nicht eine Abwärmeabgabe erwägen müssen und damit die Fernwärme weitere Verbreitung findet.
Wir werden übrigens die weiteren Sparmöglichkeiten auch bei der Gestaltung der Stromtarife prüfen.
Trotz weltwirtschaftlicher Schwierigkeiten ist die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer in der Bundesrepublik seit 1977 um 900000 gestiegen. 900000 zusätzliche Arbeitsplätze! Aber der Bedarf an Arbeitsplätzen wird bis in die Mitte der 80er Jahre weiter zunehmen.
Die Unternehmer, beide Tarifpartner, Regierungen und Gesetzgeber in Bund und Ländern und die Bundesbank tragen auch künftig gemeinsame Verantwortung für einen hohen Beschäftigungsstand.
An dem Ziel der Vollbeschäftigung muß festgehalten werden. Eingriffe in die bewährte Tarifautonomie wird es nicht geben.
Die Gewerkschaften haben gezeigt, daß sie verantwortungsbewußt handeln, um Vollbeschäftigung zu erreichen. Wir haben es dem Zusammenwirken aller eben genannten Faktoren zu danken, daß es uns allen besser geht als den Bürgern in den meisten anderen Industriestaaten.
Konrad Adenauer und Hans Böckler haben 1951 gewußt, daß Mitverantwortung nur erwartet werden kann, wenn Mitbestimmung gewährt ist. Wir sind mit dieser Erkenntnis gut gefahren. Ich erinnere an die lange Krise im Steinkohlenbergbau in den 60er Jahren, an das, was im Stahlbereich schon hinter uns liegt. Zu keinem Zeitpunkt haben Mitbestimmungsrechte dazu geführt, daß die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften betriebswirtschaftlich notwendige Neuorganisationen behindert hätten.
Die gegenwärtige Sorge um die Montan-Mitbestimmung ist ohne jede Not von einem einzigen Unternehmen ausgelöst worden.
Zur Lösung dieser Probleme für die den Mitbestimmungsgesetzen von 1951 und 1956 unterliegenden Unternehmen hat sich die sozial-liberale Koalition auf eine Regelung verständigt. Sie wird zeitgerecht einen Gesetzentwurf einbringen, der die beiden folgenden Elemente vorsieht:
Erstens: Wenn in einem Unternehmen die Voraussetzungen für die Anwendung der Montan-Mitbestimmung entfallen, so gilt die bis dahin für das Unternehmen geltende Montan-Mitbestimmungsregelung weiterhin für die Dauer von sechs Jahren.
Zweitens: Die Gewerkschaftsvertreter für die Aufsichtsräte der Unternehmen nach den Montan-Mitbestimmungsgesetzen von 1951 und 1956 werden von den Gewerkschaften vorgeschlagen und nach dem für die belegschaftsangehörigen Arbeitnehmervertreter geltenden Verfahren gewählt.
An dieser Stelle erlaube ich mir, eine persönliche Bemerkung einzufügen:
Trotz unterschiedlicher Ausgangspositionen und Zielsetzungen haben sich SPD und FDP in der Vergangenheit auf Lösungen verständigen können, die zum Ausbau der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer geführt haben. Ich nenne das Betriebsverfassungsgesetz von 1972 und das Mitbestimmungsgesetz von 1976. Diese Erfahrung hat sehr zum Vertrauen der Arbeitnehmer und ihrer Organisationen, der Gewerkschaften, in die sozial-liberale Koalition und die Bundesregierung beigetragen. Auch ich sehe in der Montan-Mitbestimmung - ich spreche hier für mich - als einen entscheidenden Faktor für den außerordentlichen wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen unserer Kohle-, Eisen- und Stahlindustrie. Natürlich läßt die von mir oben angekündigte Regelung auf allen Seiten auch Wünsche offen. Sie wirkt aber bis weit in die nächste Legislaturperiode hinein und schafft dadurch Raum für weiteres Nachdenken.
Ebenso ein persönliches Wort zum Poststreik: Die Bundesregierung ist in dem Streik der Arbeiter und Angestellten der Bundespost Tarifpartei. Ich halte mich deshalb sehr knapp und begrüße, daß in harten Verhandlungen eine Verständigungsbasis zur Beendigung des Arbeitskampfes gefunden worden ist.
Wir können uns dem Sog der internationalen konjunkturellen Abschwächung nicht entziehen. Das bedeutet für uns vorübergehenden Rückgang der Produktion, möglicherweise leichten Anstieg der Arbeitslosigkeit, allerdings auch weiteres Nachlassen des Preisanstiegs. Deshalb wird das Steuerentlastungsgesetz 1981/82, dessen Wirkungen ja jetzt am 1. Januar eintreten - rechtzeitig haben wir das vorausgesehen -, zum konjunkturell richtigen Zeitpunkt wirksam werden.
Es gilt weiterhin: Kaum ein Land der Welt hat zugleich so niedrige Arbeitslosenziffern, so niedrigen Preisauftrieb und ein so hohes Reallohn- und Rentenniveau wie unser Land. Und dabei hat sich auch die deutsche Ölrechnung innerhalb der letzten 24 Monate verdoppelt.
Das ist die Hauptursache für das Defizit der Leistungsbilanz. Auf kurze Sicht kein schwerwiegendes Problem; denn wir haben hohe Währungsreserven, und wir können den Ausgleich auch auf den internationalen Kapitalmärkten finanzieren.
Aber wegen des Defizits kann die Bundesbank den konjunkturellen Spielraum für Zinssenkungen nicht ausnutzen. In den meisten unserer Partnerländer steigen die Preise sehr viel schneller als bei uns. In jenen Ländern mußten infolgedessen die Zinsen zur Festigung der jeweiligen Währung kräftig heraufgesetzt werden. Aber die hohen Zinsen des Auslandes tun bei freien Wechselkursen auch uns weh.
Wenn wir unser Leistungsbilanzdefizit abbauen, so wird sich der Stabilitätsvorsprung der Deutschen Mark wieder voll durchsetzen, wie es auch in der Vergangenheit war.
Wir haben keinerlei Anlaß zum Pessimismus. Unsere Wirtschaft ist gesund, unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit ungebrochen. Das wird so bleiben, wenn wir am notwendigen Strukturwandel, an der Modernisierung der Wirtschaft arbeiten. Innovation und Strukturwandel, Investition und Wettbewerb sind auch in diesem Jahrzehnt unsere große Chance. Dazu bedarf es bei unseren Unternehmensleitungen großer Flexibilität. Die Arbeitnehmer dürfen das nicht in erster Linie als Bedrohung erleben, sondern vielmehr als Chance für die Zukunft.
Protektionismus dagegen wäre kein Ausweg. Das sagen wir auch allen anderen.
Aus Gründen der Stärkung unseres Innovationspotentials und unserer Wettbewerbsfähigkeit muß die Bundesregierung auf die Förderung von Forschung und Entwicklung weiterhin besonderes Gewicht legen. Das gilt vornehmlich in Bereichen besonderer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung oder in Bereichen mit besonders hohem Risiko. Aufbauend auf eine leistungsfähige Wissenschaft muß das Innovationspotential nicht nur der Großunternehmen, sondern auch der mittleren und kleinen Betriebe gestärkt und voll ausgeschöpft werden.
Angewandte Wissenschaft und Entwicklung sind aber ohne Grundlagenforschung nicht möglich. Die Bundesregierung bejaht die Autonomie und die Selbstverwaltung der Wissenschaft. Diesen Rechten entsprechen aber auch Pflichten der Wissenschaftler gegenüber der Allgemeinheit. Sie müssen auch die möglichen Folgen ihrer Arbeit bedenken. Wir wollen ja neue Technologien für den Menschen einsetzen, nicht gegen den Menschen. Es darf ja nicht Wirklichkeit werden, was der Pole Stanislaw Lec satirisch gemeint hat - ich zitiere ihn -: Die Technik sei auf dem Weg, eine solche Perfektion zu erreichen, daß der Mensch ohne sich selber auskomme.
Die Wissenschaftler müssen Mittel und Wege suchen, ihre Erkenntnisse für die Gesellschaft durchsichtig zu machen. Das ist eine Bringschuld. Sie müssen für die Qualität ihrer Forschungsarbeit einstehen, auch für die Qualität der Ausbildung ihres wissenschaftlichen Nachwuchses.
Zum Beispiel die Luft- und Raumfahrtindustrie verdankt ihre Entwicklung weitgehend staatlicher Förderung und staatlichen Subventionen. Allerdings kann der Steuerzahler diese Last nicht ewig tragen. Die Branche muß deshalb alle Möglichkeiten der Rationalisierung und der rationelleren Organisation ausschöpfen.
Auch die Bundesbahn muß alle Möglichkeiten zur Rationalisierung ausschöpfen. Die Leistungen aus dem Bundeshaushalt an die Bahn belaufen sich auf rund 14 Milliarden DM im Jahr. Deshalb muß die Wirtschaftlichkeit der Bahn verbessert werden. Dazu bedarf sie der Kooperation der Verkehrsträger, besonders im kombinierten Verkehr Schiene/Straße. Im übrigen muß der Personennahverkehr weiter ausgebaut werden.
Ich könnte mir vorstellen, daß der Schienenverkehr in den nächsten Jahren insgesamt einen Aufschwung vor sich hat, weil er ja seine Energie aus Kohle bezieht und nicht aus Öl. - Prüfen Sie einmal nach, ob ich nicht vielleicht recht habe mit dem, was ich sage.
Ich begrüße, daß die Zahl der Selbständigen wieder zunimmt. Dies zeigt Mut zur Zukunft. Mittelständische Unternehmen und Freiberufler dürfen nun allerdings nicht durch bürokratische Hürden zur Verzweiflung gebracht werden. Wenn man Hürden und Erschwernisse nicht gänzlich beseitigen kann, so sollten alle Behörden wenigstens versuchen, manche der Anforderungen etwas niedriger zu hängen.
Der Strukturwandel, meine Damen und Herren, verlangt auch nach qualifizierter Ausbildung der Jungen und Mädchen, die morgen in unserer Wirtschaft arbeiten werden. Ich danke ausdrücklich den Unternehmensleitern, den Ausbildern, insbesondere den Handwerksmeistern, daß sie in den letzten drei Jahren insgesamt 300000 Jugendliche zusätzlich beruflich ausgebildet haben.
Ich appelliere an sie, auch in den nächsten Jahren für die geburtenstarken Jahrgänge genügend Ausbildungsplätze bereitzustellen. Das liegt im eigenen Interesse der Unternehmen, sonst fehlen später die Facharbeiter.
Und ich unterstreiche: Ausbildungsplätze auch für Mädchen und wende mich damit vor allem an die Eltern: Ein Mädchen, dem im 15. oder 16. Lebensjahr eine Berufsausbildung verweigert wird oder der eingeredet wird, es käme für sie darauf nicht an, kann den daraus erwachsenden Nachteil in aller Regel zeitlebens nicht mehr ausgleichen. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, daß die tatsächliche Gleichberechtigung der Frauen immer noch hinter der gesetzlich vorgeschriebenen Gleichberechtigung zurückhinkt. Gleichberechtigte Beteiligung in der Arbeitswelt, im Berufsleben, ist und bleibt ein Grundstein für Gleichberechtigung der Frauen im Leben.
Am Arbeitsmarkt und weit über den Arbeitsmarkt hinaus bedürfen vor allem die Schwerbehinderten unserer besonderen Zuwendung. Staatshilfe kann hier tätige Solidarität nicht ersetzen. Ich fordere deshalb die Unternehmensleitungen und die Betriebsräte erneut auf, für Schwerbehinderte maßgeschneiderte Arbeitsplätze zu schaffen.
1981 ist das ‚Internationale Jahr der Behinderten’, wie Sie gehört haben werden. Die Bundesregierung hat ihre Ziele mit dem Aktionsprogramm ‚Rehabilitation in den achtziger Jahren’ dargestellt. Sie wird einen Beauftragten für die Belange der Behinderten berufen.
Sie wird sich verstärkt bemühen, illegale Leiharbeit und Schwarzarbeit einzudämmen.
Sie wird die bisher schon erfolgreichen Bemühungen um eine Humanisierung des Arbeitslebens fortsetzen, und wir werden ein einheitliches Arbeitsschutzgesetz verwirklichen und dabei prüfen, ob der gesetzliche Kündigungsschutz novelliert werden muß.
Die Rentenversorgung, meine Damen und Herren, befindet sich derzeit dank der Konsolidierungsmaßnahmen im Gleichgewicht. Die Rentenleistungen der letzten Jahre sind höher, als sie jemals vorher in Deutschland gewesen sind.
Von 1969 bis heute sind die Renten real um 45 Prozent gestiegen, die Nettoeinkommen der aktiven Arbeitnehmer real nur um 32 Prozent. Und ‚real’ heißt ja: Nach Abzug aller Preissteigerungen.
Der hohe Stand unserer Alterssicherung findet seinen Ausdruck in dem erreichten hohen Rentenniveau. Nach einem vollen Arbeitsleben, nach 45 Versicherungsjahren, liegt die Rente heute bei gut 71 Prozent des vergleichbaren Nettoeinkommens des aktiven Kollegen - bei gut 71 Prozent des vergleichbaren Nettoeinkommens der aktiven Kollegen!
Für 1981 soll gelten: Es bleibt bei der zum 1. Januar 1981 beschlossenen Beitragssatzanhebung um einen halben Beitragspunkt, das heißt je einen Viertelprozentpunkt vom Bruttolohn für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Der Bundeszuschuß an die Rentenversicherung wird im Jahre 1981 um 3,5 Milliarden DM gekürzt.
Für die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung zum 1. Januar 1985 soll das Modell der Teilhaberente an der Gesamtversorgung gelten; dabei soll mindestens die eigene Rente gezahlt werden. Ferner wird die Anrechnung eines Jahres der Kindererziehung vorgesehen.
Wegen der zur Zeit noch ungesicherten Datenlage hinsichtlich der Kosten der anstehenden Reformmaßnahmen kann die quantitative Ausfüllung dieser Grundsätze erst im Herbst des kommenden Jahres erfolgen.
Nach 1984 wird bei der Anpassung dem Gesichtspunkt der gleichgewichtigen Entwicklung des Anstiegs der verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer und der Rentner unter Beachtung der finanziellen Stabilität der Rentenversicherung im Rahmen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Rechnung getragen werden. Falls dieses Ziel dadurch erreicht wird, daß die Rentner ab 1985 schrittweise bis zur Höhe des halben Krankenversicherungsbeitrags so wie aktive Arbeitnehmer an der Finanzierung ihrer Krankenversicherung beteiligt werden, so wird dieser Krankenversicherungsbeitrag von allen Rentnern zum gleichen prozentualen Beitragssatz erhoben.
Die Regelung der Rente nach Mindesteinkommen wird über das Jahr 1972 hinaus fortgeführt - unter Ausschluß von Teilzeitbeschäftigung.
Zur Krankenversicherung der Rentner: Sie wird mit Wirkung von 1. Januar 1983 entsprechend den Festlegungen des 21. Rentenanpassungsgesetzes neu geregelt. Die Eckpunkte der Neuregelung sind:
Erstens: Festsetzung der Beitragssätze für Renteneinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung entsprechend den Bestimmungen des soeben genannten Gesetzes; für sonstige vergleichbare Alterseinkommen in Höhe des halben Beitragssatzes für Renteneinkommen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.
Zweitens: Umwandlung der Im 21. Rentenanpassungsgesetz zur Gewährleistung der Belastungsneutralität vorgesehenen Rentenerhöhung in einen entsprechenden Zuschuß zur Rente.
Meine Damen und Herren, ich habe soeben sehr lange und wahrscheinlich für viele kaum verständliche Details über zukünftige finanzielle Sicherungen im Alter vorgetragen. Ich möchte hinzufügen: Ebenso genau weiß ich, daß sich Politik für alte Menschen keineswegs allein auf die materielle Sicherung beschränken darf.
Finanzielle Sicherung ist unerläßlich. Ebenso muß aber die Gesellschaft wissen, daß keiner sich von seinen Verpflichtungen gegenüber den älteren Mitbürgern mit Geld freikaufen kann. Die Älteren und die Alten gehören zu unseren Familien, sie gehören zu unserer Gesellschaft, sie gehören mitten in unsere Gesellschaft.
Wir begrüßen deshalb jede Bestrebung, jede Mühe, die dazu führen soll, dem einzelnen auch im Alter Verbundenheit mit anderen Generationen, aktives, sinnerfülltes Leben zu ermöglichen.
Ich begrüße sehr, daß die Koalitionsfraktionen die Absicht haben, das Gesetz über die Sozialversicherung der selbständigen Künstler und Publizisten unverzüglich und unverändert neu einzubringen, damit es endlich, endlich in Kraft treten kann.
Die Bundesregierung wird das Krankenhaus-Finanzierungsgesetz wieder einbringen, und zwar unter Konzentration auf die Kostendämpfung. Ich hoffe dabei auf die Mitwirkung der Bundesländer. Zahnersatz und Heil- und Hilfsmittel sollen in das bewährte Kostendämpfungskonzept einbezogen werden.
Ein Wort zum Umweltschutz: Die Einsicht in ökologische Zusammenhänge und der Wille, diese Zusammenhänge möglichst wenig zu stören, führen im Umweltschutz von der Schadensbeseitigung zur Schadensvermeidung. Dabei bleibt das Verursacherprinzip gültig: Wer Schaden anrichtet, muß ihn beseitigen. Weiterhin gewinnt aber das Vorsorgeprinzip an Bedeutung: Der Schaden soll gar nicht erst entstehen.
In den 70er Jahren sind große Schäden schon geheilt worden: an der Landschaft, an den Flüssen, an der Luft. Zum Beispiel sind in den letzten zehn Jahren 40000 wilde Müllkippen, wilde Mülldeponien beseitigt worden, und zwar auf der Grundlage unseres Gesetzes. Ebenso wurde in den letzten fünf Jahren zum Beispiel der Bleigehalt der Luft in unseren Städten durchschnittlich auf die Hälfte verringert - auf der Grundlage unserer Gesetzgebung!
Jetzt sollten sich Ökonomen und Ökologen in der Zielsetzung einigen, nämlich im Ziel einer Produktion, die mit Rohstoffen und Energie sparsam umgeht und die Umwelt möglichst wenig belastet.
Wir brauchen nämlich zugleich neue Arbeitsplätze und Schutz für unsere natürliche Umwelt. Wir brauchen beides zugleich!
Der Mensch kann nur mit der Natur leben, nicht aber als ihr Feind. Deshalb setzen wir uns für die Begrenzung des Landschaftsverbrauches und für den Schutz des Artenreichtums von Pflanzen und Tieren ein. Vielleicht darf ich hier eines einfügen: Ich habe den Begriff ‚Natur’ großzügig gebraucht. In Wirklichkeit leben wir, abgesehen vom norddeutschen Wattenmeer und vom Hochgebirge, nicht in Naturlandschaften, sondern in Kulturlandschaften meine Damen und Herren, und ein Teil unseres Artenreichtums ist der Kulturlandschaft zu verdanken; ich weiß das sehr wohl.
Im Naturschutz sollen die Landwirtschaftsklausel revidiert und eine Verbandsklage für anerkannte Verbände eingeführt werden.
Der Schutz vor Giftstoffen wird mit Hilfe des Chemikaliengesetzes verbessert werden. Im Bereich der Landwirtschaft und der Nahrungsmittelverarbeitung werden verschärfte Kontrollen eingeführt. Ebenso wird ein Krebskataster eingeführt.
Die Grenzwerte für Schadstoffe aus Kraftfahrzeugen und für den Lärm der Kraftfahrzeuge sollen herabgesetzt werden. Wir werden erneut ein Verkehrslärmschutzgesetz vorlegen.
In vielen Städten und Gemeinden sind die Erfolge unserer Baupolitik weithin sichtbar: in sorgsamer Altstadtsanierung, in der Erhaltung alter Fachwerkbauten und -gehöfte. Wertvolle Vergangenheit wird für zukünftige Generationen bewahrt. Wir müssen auch unsere allgemeinen Bestrebungen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse im ländlichen Raum fortsetzen.
Wir müssen auch mehr neue Wohnungen bauen. Zugleich müssen Städte und Dörfer wohnlich bleiben. Kinder brauchen Spielplätze und Radwege, und die letzteren sind nicht nur für die Kinder.
Kurt Tucholsky hat einmal, als er sich mit der Tatsache befaßte, daß eine ideale Wohnung eigentlich nirgends leicht zu finden sei, beschrieben, wie die Berliner sich eine Wohnung wünschen: ‚Hinten die Ostsee und vorne die Friedrichstraße.’ So kann es sicherlich nicht überall werden!
Tatsächlich hat die große Mehrheit unseres Volkes heute mehr Wohnraum und sehr viel besser ausgestatteten Wohnraum als zu Beginn der 70er Jahre. Aber man darf die Ansprüche auch nicht zu hoch schrauben.
In Städten und Ballungsgebieten haben Alleinstehende, kinderreiche Familien und ausländische Arbeitnehmer große Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche. Auf diese Engpässe muß sich die Wohnungsbaupolitik konzentrieren. Bei der Studentenwohnraumförderung möchten wir, daß sie von den Ländern übernommen wird.
Um den Wohnungsbau zu beleben, wird die Bundesregierung die Rahmenbedingungen für den frei finanzierten Wohnungsbau verbessern, beispielsweise durch Vereinfachung des Vergleichsmietenverfahrens und Zulassung von Staffelmieten, um die Investitionsbereitschaft privater Anleger, insbesondere der Lebensversicherer, zu verstärken.
Der Kündigungsschutz bleibt dabei unangetastet. Der Schutz der Mieter vor Verdrängungen etwa durch Luxusmodernisierungen oder bei Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wird verbessert. Die Mieter sollen auch die Möglichkeit erhalten, ihre eigene Wohnung mit Hilfe ihrer Bausparverträge zu modernisieren.
Die Bundesregierung wird schrittweise mehr marktwirtschaftliche Elemente in den sozialen Wohnungsbau einführen, damit trotz gestiegener Kosten mehr Wohnungen gebaut werden können. Als soziale Absicherung bleibt das Wohngeld, das zum 1. Januar 1981 erneut verbessert wird.
Wir streben an, die direkte Förderung des sozialen Wohnungsbaus in die alleinige Zuständigkeit der Länder zu legen. Darüber soll mit den Länderregierungen verhandelt werden. Dies liegt übrigens auch im Interesse der Gemeinden, die sich bisweilen sehr zu Recht über bürokratische Gängelung von verschiedenen höheren Ebenen her beschweren.
Die Förderung des Wohnungseigentums ist ein wichtiger Bestandteil unserer Wohnungspolitik. Der Paragraph 7b des Einkommensteuergesetzes, der sich auf die Bautätigkeit in Dörfern und kleinen Städten besonders stark auswirkt, bleibt - ich sage das im Hinblick auf mancherlei öffentliche Diskussion - in Kraft.
Wir werden prüfen, ob wir Familien mit Kindern besser helfen können oder wie wir die steuerliche Förderung des Wohneigentums wirkungsvoller machen können, beispielsweise durch Abbau der Mitnehmereffekte bei der Förderung des vom Eigentümer allein genutzten sogenannten unechten Zweifamilienhauses.
Ein Wort zu den Bodenpreissteigerungen, die den Neubau von Wohnungen erschweren. Hier sollen die Instrumente des Bundesbaugesetzes verbessert werden, um das Angebot an Bauland zu vergrößern und Preissteigerungen zu verringern. Wir werden prüfen, ob und wie eine deutliche Anhebung der Grundsteuer für baureifes Land zu einer Vermehrung des Angebots beitragen kann.
Der Europarat führt eine Kampagne unter dem Motto ‚Städte zum Leben’. Das heißt aber nicht nur Beschaffung von Wohnungen, sondern das heißt auch Theater und Konzertsäle, Museen, Büchereien, Universitäten. Ohne die Städte wäre es um Kunst und Kultur schlecht bestellt. In dieser Hinsicht - ich wende mich an Sie, meine Damen und Herren, als einzelne - verdient die Bundeshauptstadt Bonn die besondere Aufmerksamkeit des ganzen Bundestages.
Zur Ausländerintegration. Integration heißt, die Ausländer, die bei uns leben und arbeiten, so zu stellen, daß sie sich einbezogen und zu Hause fühlen können. Dies ist eine ganz schwierige Aufgabe. Zeigen wir ihnen, daß wir gute Nachbarn sein können und sein wollen!
Wir haben heute viereinhalb Millionen Ausländer. Dabei ist der Anteil der Arbeitnehmer zurückgegangen, während sich der Anteil der Familienangehörigen erhöht. Über eine Million davon sind Kinder unter 16 Jahren. Jedes zweite der Kinder ist hier geboren, und die Hälfte aller Ausländer lebt seit über acht Jahren bei uns.
Diese wenigen Zahlen zeigen, daß wir es ganz überwiegend mit Menschen zu tun haben, die auf lange Zeit bei uns heimisch werden möchten, viele von ihnen für immer. Wir werden am Anwerbestopp festhalten. Wir achten darauf, daß nur tatsächlich Verfolgte Asyl erhalten.
Aber für viereinhalb Millionen Ausländer und deren Eingliederung, deren Integration, brauchen wir menschenwürdige Wohnungen, Arbeitsplätze, erleichterte Möglichkeiten zur Einbürgerung, brauchen wir vor allem konkrete Hilfe für die Kinder: wenn sie alleingelassen bleiben, wenn sie in doppelter Heimatlosigkeit aufwachsen - nicht zu Hause dort, wo ihre Eltern herkamen, aber auch nicht zu Hause hier -, wenn sie keine Schulabschlüsse erreichen, wenn zwei Drittel der jugendlichen Ausländer als Ungelernte arbeiten müssen, dann kann aus alledem schwerer Schaden entstehen, falls es so bliebe.
Wir brauchen in allen Parlamenten, auch in den Kommunen, die Zusammenarbeit aller, auch aller Parteien, um etwaiger Ausländerfeindlichkeit entgegenzutreten.
Ich möchte ausdrücklich und herzlich allen denen danken, die in den letzten Jahren, meist auf stille und sehr geduldige Weise, dafür gesorgt haben, daß Fremde zu Mitbürgern und zu Freunden wurden, insbesondere den Sozialarbeitern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Arbeitskollegen, den Betriebsräten, den Pfarrern und den Nachbarn.
Dem bisherigen Beauftragten für die Ausländerintegration der Bundesregierung danke ich für seine Arbeit, für seinen Bericht. Die Bundesregierung wird diese Einrichtung beibehalten, weil sie notwendig ist.
Eine kleine Geschichte: In Saarbrücken hat in diesen Tagen eine Lehrerin ihre 13jährigen Schulkinder aufschreiben lassen, was sie tun würden, wenn sie Bundeskanzler wären. Eine kleine Türkin in dieser Klasse schrieb - ich lese das vor, die Orthographie ist sehr mangelhaft, die kann man beim Vorlesen schlecht deutlich machen -: ‚Wenn ich eine Bundeskanzler wäre, hätte ich für die Ausländerkinder die Diktate nicht gelden lassen. Die Ausländerkinder haben in Deutsch ganz viele Schwirichkeiten.’
Natürlich können wir die Diktate auch für Ausländerkinder in den Schulen nicht abschaffen. Aber ich finde, man sollte dieser Lehrerin für ihr Verständnis danken. Denn sie hat der kleinen Türkin für ihren Aufsatz trotz der schlechten Orthographie doch die Note ‚Zwei’ gegeben und hat dazu geschrieben: ‚Vielleicht wirst du doch einmal Bundeskanzler, denn deine Rechtschreibung wird tatsächlich immer besser.’
Die Kinder der Ausländer brauchen viel Zuwendung an vielen Plätzen und in vielen Schulen. Es macht keinen Sinn, nur Ausländerkinder in einer Klasse zusammenzutun, wo sie nur ihre eigene Sprache sprechen.
Ein Wort zu Bund und Ländern. Die Bundesregierung bejaht selbstverständlich und ausdrücklich die in drei Ebenen gegliederte Struktur, die das Grundgesetz geschaffen hat. Diese Struktur ist leider im Laufe der Jahrzehnte etwas verwischt worden. Man darf zweifeln, ob die heutige Praxis der 1969 eingeführten Gemeinschaftsaufgaben und der sonstigen Mischfinanzierungen überall sinnvoll und zweckmäßig ist. Damals bestand großer Nachholbedarf, zum Beispiel an Krankenbetten und an Hochschulbauten.
In der Praxis gibt es heute vielfach ineffektive Doppelarbeit, Verwischung und Vermischung von Aufgaben- und Finanzverantwortung, zuviel Bürokratie.
Deshalb strebt die Bundesregierung an, die sogenannten klassischen Gemeinschaftsaufgaben um 20 Prozent herabzusetzen mit dem weiteren Ziel, sie auf den notwendigen Kern zu begrenzen und administrativ zu entzerren. Dies wird einen sehr schwierigen Prozeß einleiten, der nicht schon in der jetzt beginnenden 9. Legislaturperiode allein beendet werden kann. Aber wir wollen einen Anfang machen.
Wir haben dabei die Absicht, wegen der Überprüfung der Gemeinschaftsaufgaben und auch anderer Mischfinanzierungen uns mit den Ländern zum offenen Gespräch, zum konstruktiven Gespräch zusammenzusetzen. Ich weiß, daß manche Landesregierung diese Entmischung für geboten hält. Ich weiß, daß manch andere Landesregierung darin zögert - und zwar unabhängig von jeweiligen parteilichen Schattierungen.
Meine Damen und Herren, das Grundgesetz schreibt gleichmäßige Deckung der notwendigen Ausgaben von Bund und Ländern vor. Tatsächlich aber ist der Bund mit seiner finanziellen Ausstattung in eine Schere geraten: Einerseits haben seine internationalen Verpflichtungen erheblich zugenommen; andererseits ist der Anteil des Bundes am Gesamtsteueraufkommen von 54,2 Prozent 1970 auf 48,5 Prozent am Ende des Jahrzehnts zurückgegangen.
Die Verteilung der Finanzmassen muß neu ausgewogen werden, und zwar nicht im Interesse des Bundes oder des Bundeshaushalts, sondern vielmehr im Interesse der Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates.
Die politische Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates hängt entscheidend auch vom verantwortungsbewußten Zusammenwirken der obersten Bundesorgane ab.
In den Legislaturperioden seit 1969 hat öfters der Eindruck entstehen können, als ob die Opposition den Bundesrat betrachtete als Ersatz für die im Bundestag fehlende Mehrheit. Der Bundesrat ist dieser verfassungspolitisch bedenklichen Tendenz nicht eindeutig entgegengetreten. Das Wahlergebnis vom 5. Oktober hat der sozial-liberalen Koalition in allen Ländern - bis auf den Freistaat Bayern - deutliche Mehrheiten gebracht. Dies sollte den unionsregierten Ländern Anlaß zum Nachdenken geben.
Die Bundesregierung will für 1981 einen Haushaltsentwurf mit einer Ausgabensteigerung von etwa vier Prozent vorlegen. Die Nettokreditaufnahme soll mit ungefähr 27 Milliarden DM diejenige des Jahres 1980 nicht überschreiten.
Damit halten wir uns exakt an die Linie, die wir vor der Wahl aufgezeigt haben, die der Finanzplanungsrat am 4. Juli letzten Sommers empfohlen hatte. Wir tun heute das, was im Sommer angekündigt war.
Wir erwarten von den Ländern, daß sie sich ebenfalls an jene einstimmige Empfehlung des Finanzplanungsrates halten, die sie selbst mit beschlossen haben.
Für den Bundeshaushalt bedeutet dies, daß wir auf der Ausgabenseite erheblich kürzen und umschichten müssen, daß wir Subventionen und sonstige Vergünstigungen sowie Mischfinanzierungstatbestände abbauen müssen, und daß wir die bereits im Juni des Jahres angekündigten Steuererhöhungen realisieren und akzentuieren müssen.
Meine Damen und Herren, wer Subventionen abbauen will, der trifft auf Widerstände mächtiger Interessengruppen und ihrer Lobbies. Es ist Mut nötig, ihnen entgegenzutreten, wenn die Gesamtheit nicht Schaden leiden soll.
Beispielsweise ist unter den heutigen Umständen eine Subventionierung des Ölverbrauchs nirgends mehr gerechtfertigt.
Für neue Sparverträge wird das bisherige Sparprämiengesetz nicht mehr gelten. Die Wohnungsbauprämien werden auf 14 Prozent gekürzt; die Festlegungsfrist auf zehn Jahre erhöht. Die Doppelförderung von Sparanlagen nach dem 624-DM-Gesetz ist nicht mehr gerechtfertigt, sie soll nicht mehr fortgesetzt werden.
Wir werden auch die Steuerbegünstigungen für Sparkassen, öffentliche Kreditinstitute und Kreditgenossenschaften abschaffen.
Außerdem wird die Bundesregierung Gesetzentwürfe mit dem Ziel vorlegen:
Erstens: Spätestens vom 1. April 1981 an die Mineralölsteuer für Benzin um 7 Pfennig, für Diesel um 3 Pfennig zu erhöhen. Dies ist auch notwendig, um den Mineralölverbrauch und damit die Öleinfuhr zu drosseln und die Zahlungsbilanz zu entlasten.
Zweitens: Zum gleichen Zeitpunkt die Branntweinsteuer um 3 DM je Liter reinen Alkohol zu erhöhen.
Diesen Steuererhöhungen - wenn ich sie auf ein volles Jahr umrechne, machen sie 3,7 Milliarden DM aus - stehen andererseits Entlastungen der Steuerzahler durch das Steuerpaket 1981/82, durch die Erhöhung des Kindergeldes und des Wohngeldes von 16,4 Milliarden DM entgegen.
Den Steuererhöhungen von 3,7 Milliarden DM stehen Entlastungen in Höhe von 16,4 Milliarden DM gegenüber.
Steuervereinfachung und Entbürokratisierung bleiben wichtige Ziele der Steuerpolitik. Die Bundesregierung rechnet hier mit einer Unterstützung der Länder, zum Beispiel hinsichtlich der sogenannten Finanzamtslösung beim Kindergeld.
Am 4. Juli 1979 habe ich hier im Bundestag erklärt - ich zitiere -:
Zu Beginn der nächsten Legislaturperiode wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf vorlegen, der die Abschaffung der Kfz-Steuer und eine entsprechende Erhöhung der Mineralölsteuer vorsieht. Sie wird dabei die besonderen Probleme der Schwerbehinderten und der Pendler berücksichtigen.… Sie muß allerdings dafür sorgen, daß dies nicht zu einer neuen Verschiebung von Finanzmassen vom Bund auf die Länder führen kann.
Hieran, meine Damen und Herren, hält die Bundesregierung fest, und sie bittet die Länder um ihre Zustimmung. Ich weiß, daß die - bisher - nicht gewährt werden soll.
Ein Wort zur Kreditaufnahme der öffentlichen Hände, die im Bundestagswahlkampf von interessierter Seite zu gefährlicher Staatsverschuldung hochgespielt worden ist:
Erstens: Auf den Bund entfällt nur eine Hälfte der Kreditaufnahme. Die Kreditaufnahme der Länder ist seit Jahren im gleichen Tempo gestiegen.
Zweitens: Bei einem internationalen Vergleich mit vergleichbaren Industriestaaten steht die Bundesrepublik sehr günstig da.
Drittens: Von Ende 1969 bis Ende 1979 hat der Bund insgesamt 148 Milliarden DM netto an Krediten aufgenommen. Aber er hat im gleichen Zeitraum 230 Milliarden DM für Investitionen ausgegeben und außerdem mehr als 140 Milliarden DM an Investitionshilfen und an Haushaltshilfen an die Länder gegeben.
Viertens: Die Verbindlichkeiten des Bundes sind das Ergebnis einer Kreditaufnahme aus Verantwortung für das Funktionieren unserer Wirtschaft, ihre Beschäftigung, für die Verbesserung der Lebenschancen der künftigen Generationen. In gleicher wirtschaftlicher Lage würde die Bundesregierung wieder so handeln, wie sie nach 1973 gehandelt hat.
Fünftens: Heute allerdings ist die Situation eine andere als damals, nach 1973, und sie erfordert andere Konzepte. Deshalb hat die Bundesregierung für 1981 Einsparungen bei den Ausgaben vorgesehen. Wer nun darüber hinaus Abbau der öffentlichen Verschuldung fordert, der wird nur dann wirkliche Aufmerksamkeit verdienen, wenn er ebenso deutlich sagt, wo sonst noch eingespart werden soll und zu wessen Lasten sonst noch eingespart werden soll.
Zu einem anderen Feld, meine Damen und Herren: Unsere Koalition hat in der beruflichen Bildung einen Schwerpunkt gesetzt. Reformen und Ausbau des Bildungswesens insgesamt haben sich gelohnt. Nie zuvor hat es so viele so gut ausgebildete Bürger gegeben wie heute. Viele Arbeiterkinder und andere, die früher benachteiligt waren, haben die von uns ausgelöste Öffnung der weiterführenden Bildung nutzen und die Barrieren zwischen gesellschaftlichen Schichten überwinden können.
Wir widersprechen der Forderung nach mehr staatlicher Lenkung und staatlicher Auslese. Wir setzen vielmehr auf die verantwortliche Entscheidung der einzelnen. Das verlangt Chancengleichheit auch für einkommensschwache Personen. Wir werden deshalb die Ausbildungsförderung auch in einer Zeit erhalten, in der die erheblich gestiegenen Aufwendungen für mehr als 800000 Schüler und Studenten unseren finanziellen Spielraum begrenzen.
Die sozial-liberale Koalition hat den Sperriegel des bundesweiten Numerus clausus aufgebrochen. Er gilt nur noch für wenige Studienfächer. Aber auch dort muß er möglichst bald fallen.
Obwohl sich die Zahl der Studenten in den letzten zehn Jahren verdoppelt hat, würde der weitere Abbau des Numerus clausus sicherlich dann möglich werden, wenn die akademischen Einrichtungen, auch die Gebäude, besser und ständig genutzt würden: über den ganzen Tag - der hat auch noch einen Abend - und über das ganze Jahr.
Wir bejahen den Wettbewerb der Länder im Bildungswesen, wir bejahen aber nicht Rückfälle in Bildungspartikularismus. Wenn ideologischer Streit der Länder um die Anerkennung von Schulzeugnissen auf dem Rücken der Jugendlichen ausgetragen wird, wenn ein Abiturient aus Niedersachsen mit guten Noten im Freistaat Bayern nicht studieren darf, dann ist die Grenze des Vernünftigen überschritten.
Meine Damen und Herrn, ich füge hinzu: An vielen Orten hat sich die Gesamtschule als leistungsfähig erwiesen. Viele Eltern wünschen für ihre Kinder die Gesamtschule. Der Wille der Eltern muß überall respektiert werden. Wir wollen keinen Glaubenskrieg im Bildungswesen, wohl aber Pluralität, kulturelle Vielfalt und - bitte - Toleranz auch im Bildungswesen!
Wir erleben gegenwärtig eine widersprüchliche Diskussion über Ehe und Familie. Die einen vermitteln den Eindruck, als gäbe es eine heile Weit der geborgenen, glücklichen Familie: Andere tun so, als sei die Familie überall in Auflösung. Diese Schwarzweißmalerei entspricht nicht unserer Wirklichkeit.
Unsere Familienpolitik geht von der Bedeutung aus, die das Grundgesetz und die Bürger der Familie zumessen, nämlich als sozialer und kultureller Mittelpunkt des Lebens. Der Staat hat die Familie nicht zu bevormunden, aber er hat sie zu schützen.
Materiell ist für die Familien in den letzten Jahren viel getan worden: Kindergeld, Kindergelderhöhungen, Kinderbetreuungsfreibeträge, Mutterschaftsurlaub und anderes mehr. Im nächsten Jahr gibt es wiederum mehr Kindergeld und Verbesserungen im Rahmen der Steuerentlastungen.
In vielen Lebensbereichen steht die Gleichberechtigung der Frauen immer noch nur auf dem Papier. Wir werden tun, was wir können, um sie tatsächlich verwirklichen zu helfen; aber das meiste muß die Gesellschaft selbst dazu leisten.
Leistungen der Frauen in der Familie müssen ebenso hoch bewertet werden wie Frauenarbeit im Beruf, und umgekehrt: Frauenarbeit im Beruf muß ebenso hoch bewertet werden wie Frauenarbeit in der Familie.
Frauen brauchen bessere Chancen im Berufsleben, sie brauchen Aufstiegsmöglichkeiten in Unternehmen, Behörden, in politischen Parteien, in Verbänden. Frauen, die ihre Berufsarbeit aus familiären Gründen unterbrechen, brauchen Angebote zur Weiterbildung. Wir wollen prüfen, ob die Situation der Frauen durch ein Antidiskriminierungsgesetz verbessert werden kann.
Es folgt ein Wort zur Jugend; sie wird viel gescholten. Ich meine aber, daß sie auch Anerkennung und Lob verdient.
Wer nur die jugendlichen Modeerscheinungen sieht, der gewinnt kein wirkliches Bild der Jugend, der sieht die Vielfalt nicht. Die Jugend ist keine homogene Gruppe oder Schicht. Vielleicht ist eine gemeinsame Grundhaltung insoweit erkennbar, als von einer gewissen Skepsis gegenüber der Politik geredet werden kann. Aber zur Jugend - vielleicht sogar zu ihrer gemeinsamen Grundhaltung heute - gehört auch, daß viele Jugendliche solidarischer und humaner miteinander umgehen, als viele der Älteren - dies nicht wissend - es sich vorstellen.
Vielleicht gehört dazu auch der Wille zur Hingabe an das Wohl der anderen. Wir haben beim Evangelischen Kirchentag, beim Katholikentag erlebt, wie viele Jugendliche sich engagieren. Wir wissen, daß viele junge Leute in der Jugend- und Sozialarbeit, in den Anstalten für psychisch Kranke, in Heimen für geistig behinderte Kinder einen schweren Dienst leisten; übrigens darunter auch viele Ersatzdienstleistende.
Ich will hier einfügen: Wir wollen die Neuordnung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung und des Zivildienstes unter Ausschöpfung des verfassungsmäßigen Rahmens weiterhin verfolgen.
Ich finde es gut, wenn sich viele junge Bürger gegen eine Überbetonung des Materiellen wenden. Ich finde es auch gut, wenn junge Leute nach neuen, alternativen Lebensformen suchen. Allerdings muß ich sagen: Eine totale Abkehr von der Gesellschaft, ein totaler Rückzug ins Private ist sehr fragwürdig, zumal dann, wenn man an den Einrichtungen der Gesellschaft dort unbeschränkt Anteil haben will, wo sie einem Vorteile bringen.
Die sozial-liberale Koalition wird - wie früher - auch in Zukunft für den privatrechtlichen Charakter der Presse und für den öffentlich-rechtlichen Charakter der elektronischen Medien, d.h. des Rundfunks und Fernsehens, eintreten. Dieses historisch gewachsene publizistische Gleichgewicht gehörte einmal zum Grundkonsens aller demokratischen Parteien in der Bundesrepublik. Es wäre gut, wenn die Parteien des Bundestages zu diesem Konsensus zurückkehren könnten.
Die Zukunft unserer Medienordnung muß gewiß noch sehr gründlich diskutiert werden. Die Ministerpräsidenten der Länder haben jüngst beschlossen, von einer künftigen Erhöhung der Rundfunkgebühren 20 Pfennig zur Finanzierung von Kabelfernseh-Pilotprojekten zu benutzen. Man muß das klar sehen: Mit diesen Beträgen kann die Verkabelung nicht finanziert werden. Also bleibt die Frage, wer die Verkabelung, die Sie erstreben, bezahlen soll. Die Antwort auf diese Frage gehört auch in die Diskussion über das Kabelfernsehen.
Ich möchte an dieser Stelle abermals eine sehr persönliche Bemerkung einschieben: Meine persönliche erhebliche Skepsis gegenüber der zunehmenden Fernseh-Berieselung der Heranwachsenden und gegenüber der Beeinträchtigung des Familienlebens durch die elektronischen Medien will ich Ihnen nicht verschweigen. Ich habe mich über die breite Zustimmung gefreut, die ich in diesem Punkt aus beiden Kirchen erhalten habe. Aber ich will gern einräumen, daß sich hier jeder selbst entscheiden muß.
Ein Wort zum Sport, der mit 17 Millionen Mitgliedern in 55000 Turn- und Sportvereinen zu den wichtigen gesellschaftlichen Kräften in diesem Lande gehört. Mit sieben Millionen Jugendlichen ist der Deutsche Sportbund die größte deutsche Jugendorganisation.
Sport und Politik - das heißt Partnerschaft, das heißt Anerkennung der unabhängigen Stellung des Sports. Für uns bleibt die Förderung des Breitensports, besonders die Förderung des Behindertensports, Aufgabe von hohem Rang. Im übrigen steht die Bundesregierung zu ihrem Versprechen, daß dem Spitzensport aus der Nichtteilnahme an den Olympischen Sommerspielen keine finanziellen Nachteile entstehen werden.
Zu einem anderen Thema: Die Rechtspolitik hat wichtige Veränderungen bewirkt. Wir wollen weiterhin mehr Gerechtigkeit und mehr Freiheit für den einzelnen in der Gesellschaft. Wir wollen Ausbau unseres Rechtsstaates und Wahrung seiner Liberalität.
Wir sind, denke ich, alle überzeugt: Das Grundgesetz hat sich bewährt. Über seine tragenden Elemente besteht weite Übereinstimmung im Volk.
Die Bundesregierung wird aber prüfen, ob in das Grundgesetz detailliertere Staatszielvorstellungen oder Gesetzgebungsaufträge aufgenommen werden müssen.
Wo es das Sozialstaatsprinzip und das Rechtsstaatsprinzip erfordern, werden wir - wie bisher - die Position der Schwächeren stärken. Damit wird die formale Rechtsgleichheit zur inhaltlichen Chancengleichheit fortentwickelt, beispielsweise in der Verbesserung des Verbraucherschutzes. Wir halten an der Staatshaftungsreform fest. Wir wollen die Rechte der Autoren, der Künstler und der Lichtbildner besser absichern.
Im Strafrecht müssen wir neue Antworten auf neue Formen der Kriminalität finden. Wir werden ergänzende Straftatbestände gegen die Wirtschaftskriminalität schaffen.
Den Opfern von Straftaten wird auch in Zukunft unsere Sorge und Hilfe gelten. Andererseits setzen wir unsere Bemühungen fort, Straffällige in die Gesellschaft zurückzuführen. Wir werden die Möglichkeiten der Strafaussetzung zur Bewährung bei lebenslanger Freiheitsstrafe einführen und für die übrigen Freiheitsstrafen erweitern. Im Jugendstrafvollzug muß der Erziehungsgedanke noch stärker betont werden.
Gesellschaft und Staat müssen sich noch mehr bemühen, vor allem junge Menschen vor Drogenabhängigkeit zu bewahren und es Abhängigen zu erleichtern, von der Droge loszukommen. Wir werden dazu die Novelle zum Betäubungsmittelgesetz neu einbringen.
Die Liberalität unseres Gemeinwesens muß sich auch im Strafverfahrensrecht bewähren. Unter anderem streben wir eine Neuordnung des Rechts der Strafverteidigung an.
Wir werden auch den Datenschutz verbessern.
Wir wollen keine Extremisten im Staatsdienst. Wir wollen aber auch keine Opportunisten und Angepaßte. Wir werden nach Möglichkeiten suchen, bei der Prüfung der Verfassungstreue von Beamten dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit auch dadurch Geltung zu verschaffen, daß die Anforderungen nach den unterschiedlichen Funktionen differenziert werden.
Wie bisher werden wir unsere innere Sicherheit mit Augenmaß, aber auch mit Festigkeit bewahren und gewalttätigem Extremismus und Terrorismus - ob von rechts oder von links - entschlossen entgegentreten.
Wir wehren uns entschieden dagegen, wenn Neonazismus bei uns gefährlich aufleben sollte. Gesetzeslücken, die bei der Verfolgung neonazistischer Aktivitäten zutage getreten sind, müssen geschlossen werden.
Ausländer, die ihre blutigen Fehden in unser Land tragen, müssen mit unserer entschlossenen Gegenwehr rechnen.
Die Regelungen zur Bekämpfung des Terrorismus werden wir in angemessenen Abständen auf Wirksamkeit und Notwendigkeit überprüfen.
Beim Kontaktsperregesetz wird eine Regelung angestrebt, die die strafprozessualen Garantien auch in diesem Bereich noch stärker gewährleistet, ohne den Schutz des von terroristischen Aktivitäten Bedrohten zu vermindern.
Ich spreche an dieser Stelle den Mitarbeitern der Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern abermals unseren Dank aus. Ich habe zu Ihnen Vertrauen.
In unserer vielfältigen oder, wie man sagt, pluralen Gesellschaft leben gläubige Christen unterschiedlicher Konfessionen, Juden, Muslims, Menschen, die sich ihren Religionen entfremdet haben, und Nichtreligiöse miteinander. Wir achten die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen des einzelnen als einen Teil des Nichtabstimmbaren, das heißt jenes Bereiches, über den der Staat nicht zu verfügen hat und auch nicht mit Mehrheitsentscheidungen verfügen darf.
Die Kirchen und Religionsgemeinschaften haben wichtige Aufgaben. Die Bundesregierung ist wie bisher zur Zusammenarbeit und insbesondere in den Punkten zum Dialog bereit, in denen Meinungsunterschiede bestehen. Ich verweise hier auf die Regierungserklärung von 1976. Allerdings muß dieses Gespräch von gegenseitigem Respekt und der Achtung der jeweiligen Eigenständigkeit getragen sein.
Im Ursprungsland der Reformation ist das Verhältnis zwischen den christlichen Konfessionen von besonderer Bedeutung. Ich begrüße deshalb das Gespräch zwischen Papst Johannes Paul II. und den Repräsentanten der Evangelischen Kirche Deutschlands. Ich begrüße, daß der Papst bei seinem Besuch die Aufmerksamkeit vieler Menschen auf Wesentliches gelenkt und daß er vielen Menschen Mut gemacht hat. Dafür ist ihm zu danken, auch von denen, die dem Papst in der Sache nicht in allen Punkten zu folgen vermögen.
Zum Schluß, meine Damen und Herren. Die 80er Jahre haben weltpolitisch mit vielerlei Krisen begonnen. Wir spüren, daß der Frieden zerbrechlich ist. Man spürt auch Ängste und Unsicherheit.
Die Welt ist komplizierter geworden als manche bisher wahrgenommen hatten. Auch deshalb kann es in der Politik keine einfachen, schon gar keine letzten Antworten geben.
Es darf der Politik auch keineswegs bloß um quantitativen Erfolg gehen, weder für die einzelnen noch für die Gruppen noch für das ganze Volk. Vielmehr muß es der Politik auch um die qualitative Verwirklichung der Grundrechte für die einzelnen, um den geistigen, den mitmenschlichen, den moralischen Fortschritt gehen. Dieser aber ist mit quantitativen Maßstäben nicht zu bewerten.
Es muß auch darum gehen, daß die meisten Menschen Anerkennung für das brauchen, was sie in Solidarität und Verantwortung leisten. Und schwierige Zeiten verlangen noch mehr Solidarität.
Viele Lösungen von gestern taugen heute nicht mehr in jedem Fall. Deshalb brauchen wir Mut zur Erneuerung.
Aber wir haben auch Anlaß, dem mit Zuversicht entgegenzugehen. Wir haben Anlaß zum Mut, auch Anlaß zur Lebensfreude.
Ich darf als Bundeskanzler einer Koalition ein persönliches Wort einfügen und damit ein prononciertes Wort als Sozialdemokrat sagen: Daß meine, die Sozialdemokratische Partei jetzt in das 15. Jahr ihrer Regierungsarbeit eintritt, daß sie weitere vier Jahre in vorderster Verantwortung darauf hinwirken kann, schrittweise ihre eigenen Grundgedanken, ihre besonderen geschichtlichen Erfahrungen, ihre geistigen und gesellschaftlichen Interessen prägend einzubringen, das gibt vielen von uns Kraft, auch mir.
Aus der Gesamtentwicklung, aus der Gesamtfestigung unserer Demokratie dürfen wir alle Stolz und Zuversicht schöpfen. Staatliche und gesellschaftliche Institutionen haben sich bewährt. Sie werden von den Bürgern bejaht. Das ist nicht in allen Staaten auf der Welt genauso.
Die Jugend sucht menschliche Werte. Die Jugend ist in ihrer großen Mehrheit bereit, sich zu engagieren. Sie will auch Pflichten auf sich nehmen, wenn sie diese erkennen und einsehen kann; man muß helfen, daß diese eingesehen werden können.
Ich appelliere an die Jungen: Gebt unserem Staat Kritik, aber gebt ihm auch eure Loyalität und eure Solidarität! Denn dies ist euer Staat, dies ist euer Land, und dies ist eure Zukunft.
Meine Damen und Herren, wenn wir alle - bei sehr verschiedenen Ausgangspunkten und Positionen - in schwieriger Zeit offen sind für neue Gedanken, wenn wir gerechte Lösungen suchen, wenn wir solidarisch handeln, wenn wir unsere ganze Kraft für den Frieden einsetzen, dann darf jeder von uns der Zukunft mit Mut entgegensehen.“
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