Psychologie politischer Reden und Kommunikation

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Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik

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CMC Forschungsprojekt WORTSTROM

Tabellen

Artikel

 

 

Politisches Denken im Spiegel der Inhaltsanalyse politischer Reden. Eine Studie zu Korrelationen zwischen verschiedenen textstatistischen Kennwerten.

 

Dr. Peter Niebisch

 

 

Einführung

 

Politische Reden sind ein wesentlicher Bestandteil der politischen Kommunikation. Wir analysieren solche politischen Reden mit dem Ziel, zentrale Denkorientierungen und Denkmuster für einzelne Politiker (-gruppen) herauszuarbeiten. Der Begriff Denkorientierung umfasst dabei „rein“ rationales Denken (wie z.B. Problemlösen, Planen) ebenso wie (latente Wert-) Überzeugungen, Glaubensinhalte, Einstellungen, etc. wie auch die stimmungsmäßigen und emotionalen Anteile, die mit kognitiven Aktivitäten (wie z.B. Vorstellungen, Erinnerungen, Intuitionen, Verdrängungen, etc.) einhergehen.

 

Methodisch gesehen bedienen wir uns dabei der computergestützten-quantitativen Inhaltsanalyse - auf der Grundlage von inhaltsanalytischen Diktionärsystemen. Solche Diktionäre sind Sammlungen von sprachlichen Ausdrücken (Worte und/oder feststehende Wendungen, sogenannte Phrasen), mit denen bestimmte thematische oder stilistische Merkmale eines Textes erfasst werden. Zur Zeit arbeiten wir mit drei Diktionärsystemen:

 

 

Das letzte System ist im Rahmen des Forschungsprojekts WORTSTROM von uns selbst entwickelt worden.

 

Während DOTA und RID stilistische Textmerkmale messen, werden mit SymTex in erster Linie - aber nicht ausschließlich - (wert-) thematische Texteigenschaften erfasst.

 

Ausgehend von den ermittelten Textmerkmalen für die jeweiligen politischen Reden schließen wir dann auf das politische Denken der betreffenden Politiker/innen - genauer gesagt: auf ihre dominanten Denkorientierungen und deren typische Muster. Angenommen wird dabei, dass die relative Häufigkeit bestimmter sprachlicher Ausdrücke (Worte und Phrasen in den Diktionären, gemessen an der jeweiligen Textlänge in Worten) ein gültiger Indikator für einen Aspekt des politischen Denkens ist. Beispiel: Die relative Häufigkeit von selbstbestimmungsthematischen Ausdrücken (wie z.B. Freiheit, Souveränität, etc.) spiegelt wieder, welche Bedeutung/Priorität dieses Thema im Denken der betreffenden Politiker hat.

 

Alle drei Analysesysteme sind ausführlich beschrieben (auf dieser Website ).

 

In dieser Arbeit geht es um die korrelativen Beziehungen zwischen ausgewählten Kennwerten der drei Diktionärsysteme - insbesondere aus SymTex und RID. Insofern betrachten wir diese Untersuchung als einen weiteren Teil der Konstruktvalidierung.

 

 

Politische Denkmuster: Fünf-Faktoren-Modell

 

Ein wesentliches Ergebnis unserer bisherigen Studien ist die Fünf-Faktoren-Struktur politischer Kommunikation bzw. politischer Reden. Unsere faktorenanalytischen Untersuchungen (auf der Grundlage der Diktionäre SymTex und DOTA) zeigen dabei fünf klar voneinander abgrenzbare Denkmuster, die wir aus motivationspsychologischer Sicht vor allem als implizite Motive interpretieren.

 

Diese Motive machen deutlich, aus welcher Wahrnehmungs- und Denk-Perspektive Politiker/innen die politische Welt, die Aufgaben in der Politik, Kontrahenten, politische Konflikte und nicht zuletzt ihre (persönlichen) politischen Herausforderungen sehen. Mit anderen Worten: Was an Generalthemen „bewegt“ den Politiker in seinem Denken, was sind die impliziten Prioriäten (dominant concerns) seines politischen Tuns (im Spiegel seiner Reden). Aus Abgrenzungsgründen zur Motivationspsychologie bezeichnen wir die einzelnen Denk- bzw. Kommunikationsmuster mit lateinischen Begriffen - dahinter finden Sie unsere Kurzinterpretation der Komponenten sowie in Klammern die motivationspsychologischen Bezüge:

 

 

Eine ausführlichere Beschreibung der theoretischen Hintergründe sowie einiger unserer diesbezüglichen empirischen Analysen finden Sie vor allem im Artikel „Motive in der Politik“ (auf dieser Website ).

 

Vor diesem Hintergrund lässt sich die Fragestellung der Untersuchung weiter präzisieren: Was uns hier in erster Linie interessiert sind die korrelativen Beziehungen zwischen den gefundenen Denk- bzw. Motivkomponenten (Domination, Lektion, Kohäsion, Lokomotion und Regulation) und ausgewählten Kennwerten des Regressive Imagery Dictionary.

 

 

Regressives und konzeptionelles Denken

 

Wie im Artikel zum RID-Verfahren dargestellt (auf dieser Website ), misst das von Martindale entwickelte inhaltsanalytische Verfahren unterschiedliche kognitive Stile - ausgehend von den Gegensatzpolen „regressives“ (ganzheitliches, intuitives, idealisierendes) einerseits und „konzeptionelles“ (analytisches, rationales, utilitaristisches) Denken andererseits.

 

Die Kennwerte für regressives und konzeptionelles Denken werden zueinander ins Verhältnis gesetzt. Der resultierende Regressionsindex  (Primary Index) variiert zwischen 0 und 1 - je größer der Wert, desto höher ist der Anteil regressiver gegenüber den konzeptionellen Inhalten, was im Falle politischer Reden als Ausdruck einer „idealistisch-romantischen“ Denkhaltung verstanden werden kann (Anmerkungen: „idealistisch“ laut DUDEN „nach der Verwirklichung von Idealen strebend, dabei aber die Wirklichkeit etwas außer Acht lassend“ - „romantisch“ laut DUDEN „gefühlsbetont, schwärmerisch, die Wirklichkeit idealisierend“ und/oder „unrealistische, idealisierende Vorstellungen von etwas haben“).

 

 

Hypothesen und Untersuchungsanlage

 

Projiziert man nun diese Unterscheidung zwischen regressivem und konzeptionellem Denken in das Fünf-Faktoren-Modell politischer Kommunikation, werden eine Reihe von Hypothesen nahe gelegt. In Tabelle 1 sind diese zusammengefasst.

 

Tab. 1: Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse und kognitionspsychologische Bezüge.

Nach der Theorie von Martindale wäre regressives (vor allem idealisierendes) Denken demnach besonders typisch für Politiker, die stark in ideologisch-machtvisionären Kategorien denken und kommunizieren, während im Gegenteil ein konzeptioneller Denkstil stärker ausgeprägt sein müsste bei Politikern mit hohen Werten beim Faktor Regulation - entsprechend abgeschwächt (bei jeweils hohen Werten) bei den Faktoren Lektion und Lokomotion. Bezüglich der Dimension Kohäsion wurde angenommen, dass kein eindeutiger Zusammenhang in die eine oder andere Richtung vorliegt.

 

Vor dem Hintergrund dieser Annahmen wurden nun die korrelativen Beziehungen zwischen den Kommunikationskomponenten und dem Regressionsindex untersucht. Neben dem Regressionsindex wurden zudem weitere 11 der 43 RID-Kategorien in den Analysen berücksichtigt. Die letzten vier (Angst, Agressivität, Traurigkeit, Ehre) sind Kategorien zum Emotionsprozess.

 

Gerechnet wurde anhand unseres Referenzdatensatzes: 3678 Reden von 264 Politiker - und zwar auf der aggregierten Ebene (also pro Politiker ein Datensatz über die bis dahin für ihn erfassten Reden).

 

 

Ergebnisse und Diskussion

 

Tabelle 2 zeigt die Zusammenhänge zwischen Kommunikationskomponenten und den RID-Kennwerten. Bei den fünf Kommunikationsdimensionen wurden die statistisch unabhängigen Faktorscores verwendet. Die Zusammenhänge mit dem Primary Index sind (fast) erwartungsgerecht:

 

Der Faktor Domination korreliert deutlich positiv und hochsigifikant mit dem Primary Index, während der Faktor Regulation, wenn auch etwas niedriger, negativ korreliert ist. Die Hypothese, dass sich „(Macht-) Visionspolitiker“ und „Regulationspolitiker“ in ihrem kognitiven Stil unterscheiden, wird damit grundsätzlich gestützt. Ebenfalls in die erwartetete Richtung zeigen die Korrelation bei den Faktoren Lektion und Lokomotion, wobei der Wert bei Lektion sehr klein und nicht signifikant ist. Beim Faktor Kohäsion zeigt sich, wie vermutet, keinen Zusammenhang zum Regressionsindex.

 

Tab. 2: Korrelationen zwischen den Kommunikationsfaktoren und RID-Kennwerten.

* Die Korrelation (Pearson) ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant / ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant / n = 264 / Berechnung über Faktorscores der Kommunikationsdimensionen.

 

Interessant ist es nun, die weiteren Korrelation mit den RID-Teildiktionären näher zu betrachten. Hier zeigen sich ebenfalls überraschend stimmige Zusammenhänge:

 

a) Beim Faktor Domination korreliert die Kategorie Instrumentelles Handeln negativ, während die Kategorien Aggressivität sowie Ehre deutlich positiv verbunden sind. Die für textstatistische Untersuchungen überaus hohe Korrelation mit Aggressivität unterstützt dabei den beschriebenen konfrontativen Charakter des Dominationsfaktors.

 

b) Beim Faktor Lektion sind die Korrelationen zu den emotionsthematischen RID-Kategorien hervorzuheben: Angst, Aggressivität und vor allem Traurigkeit. Der (affektive) Negativismus dieses Faktor wird hier nochmals betont.

 

c) Beim Kohäsionsfaktor dominiert die RID-Kategorie Passivität/Ruhe, während beim Lokomotionsfaktor Instrumentelles Handeln am stärksten ausgeprägt ist, was ebenfalls stimmig erscheint: Kohäsion wurde als „Bindungs-“ und Lokomotion als „Bewegungsfaktor“ beschrieben.

 

d) Überaus deutlich sind die positiven Korrelation zwischen den RID-Kategorien Einschränkung, Ordnung und Moralische Imperative mit dem Regulationsfaktor.

 

Einige SymTex- und die RID-Diktionäre sind nicht völlig überschneidungsfrei, auch wenn es nur sehr wenige Ausdrücke sind, die in beiden Diktionärsystemen gleichzeitig vorkommen. Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, dass einige Korrelationen überschätzt sind.

 

Dem könnte allerdings entgegegen gehalten werden, dass hier schon auf der Konstruktebene gerechnet wurde und insofern die mit unterschiedlichen theoretischen Annahmen und Intentionen entwickelten Messdimensionen der beiden inhaltsanalytischen Verfahren (dennoch) in vielen Punkten in die gleiche Richtung zeigen. Trotz dieses Gegenarguments erschien es sinnvoll, quasi „auf Nummer sicher zu gehen“.

 

Die beiden DOTA-Dimensionen Referentielle und Operative Prägnanz sind ja wesentliche Bestandteile des Fünf-Faktoren-Modells, wobei die Referentielle Prägnanz als stilistischer Kennwert faktorenanalytisch dem Dominationsfaktor zugeordnet ist und die Operative Prägnanz zur Lokomotions-/ Regulationsdimension gehört. Da das DOTA-Verfahren auf der Grundlage funktionaler Ausdrücke entwickelt wurde, während das RID-Verfahren inhaltlich-thematische Ausdrücke verwendet, gibt es hier keinerlei Überschneidungen in den Ausdrücken.

 

Tab. 3: Korrelationen zwischen DOTA- und RID-Kennwerten.

* Die Korrelation (Pearson) ist auf dem Niveau von 0,05 (2-seitig) signifikant / ** Die Korrelation ist auf dem Niveau von 0,01 (2-seitig) signifikant / n = 264 / Berechnung über Rohwerte.

 

Vom Gesamttrend her gesehen bestätigen die Ergebnisse in Tabelle 3 die wichtigsten Schlussfolgerungen aus Tabelle 2. Die Referentielle Prägnanz korreliert signifikant positiv mit dem Primary Index und die Operative Prägnanz bedeutsam negativ.

 

Die absolute Größe der Korrelationen macht aber auch deutlich, dass mit dem DOTA- und dem RID-Verfahren offensichtlich unterschiedliche Aspekte der kognitiven bzw. der kommunikativen Dynamik erfasst werden, die zwar miteinander verbunden, aber dennoch klar zu unterscheiden sind. Geschlossenes versus offenes Denken ist eben etwas anderes als regressives (ganzheitliches, intuitives, idealisierendes) versus konzeptionelles (analytisches, rationales, utilitaristisches) Denken.

 

Enttäuschend sind die Beziehungen zwischen den DOTA-Kennwerten und der RID-Kategorie Angst. Für die Referentielle Prägnanz wurde vor dem Hintergrund der Dogmatismusforschung ein deutlicher positiver Zusammenhang erwartet. Hingegen bestätigt sich hier nochmals der sehr klare Zusammenhang zwischen Referentieller Prägnanz und aggressiven Bezügen in der politischen Kommunikation bzw. im politischen Denken.