Psychologie politischer Reden und Kommunikation

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Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik

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CMC Forschungsprojekt WORTSTROM

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Politische Führung und Change Management. Einige Gedanken zu Hintergründen und Perspektiven des Forschungsprojekts WORTSTROM.

 

Dr. Peter Niebisch

 

 

Einführung

 

Change Management meint den systematischen, geplanten, bewusst gesteuerten Wandel in Organisationen/Unternehmen zumeist mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern und weiter zu verbessern. Im Fokus des Change Managements stehen zumeist folgende Bereiche:

 

 

Wir sind Change Management Berater und möglicherweise erscheint - vor dem Hintergrund der genannten Punkte - die Beschäftigung mit politischer Führung und Kommunikation auf den ersten Blick ungewöhnlich. Wir sehen allerdings viele Anknüpfungspunkte zwischen den beiden Bereichen Change Management und politische Führung. Ziel dieses Artikels ist es, in diesem Zusammenhang einige Hintergründe sowie Perspektiven unserer Forschungsarbeit aufzuzeigen.

 

 

Hintergründe

 

Im Zentrum der analytischen Arbeit von WORTSTROM stehen die Forschungsbereiche Kommunikation, Führung und auch Kultur, wobei wir von einem engen Zusammenhang der drei Konzepte ausgehen:

 

Erstens: Kommunikation ist das zentrale Instrument der Führung. „Führen durch das Wort“ nannte das der Jesuit und Managementtrainer Rupert Lay schon 1978. Zweitens: Kommunikation und Führung prägen bekanntlich die Kultur, das Klima einer Organisation oder Gemeinschaft in hohem Maße (vgl. u.a. Goleman, Boyatzis & McKee, 2003).

 

Aus unserer Praxis als Change Manager wissen wir nur zu genau: Wer die Kultur z.B. eines Unternehmens begreifen und nicht zuletzt verbessern will, sollte sich mit den Prozessen/Strukturen/Systemen der Führung und Kommunikation beschäftigen. Wie insbesondere die Sozialpsychologie und Soziologie zu berichten wissen, sind es vor allem drei Gruppen, die maßgeblich auf Kultur und Klima Einfluss nehmen:

 

Die „führenden“ Personen (quasi die Regierenden), aber auch ihre Opponenten sowie die Außenseiter des sozialen Systems - letztere bringen vor allem bewusst oder unbewusst neue Gedanken, Werte, Spielregeln, Gepflogenheiten etc. in das soziale Gebilde ein und wirken schon auf diese Weise verändernd.

 

Was uns also in erster Linie interessiert, sind grundsätzliche Fragen und Antworten zu Kommunikations-, Führungs- sowie kulturellen Wandlungsprozessen - schon aus unserer beruflichen Perspektive heraus. Warum also die Auseinandersetzung mit Politik und Politikern? Dafür gibt es pragmatische aber auch theoretische Gründe:

 

Als wir vor einigen Jahren begannen, für das Forschungsprojekt WORTSTROM nach entsprechenden Dokumenten (vor allem Reden und Schriften) von führenden Meinungsbildnern aus Unternehmen und/oder Non-Profit-Organisationen zu suchen, war die Ausbeute recht spärlich - zumindest nicht umfangreich genug und zu fragmentarisch. Schon aus Wettbewerbsgründen scheinen solche Organisationen und ihre Leader mit der Veröffentlichung von (Analyse-, Strategie-, Grundsatz-, Visions-, etc.) Dokumenten/Reden eher zurückhaltend zu sein. Hinzu kommt, dass von außen zwar zumeist die Regierenden (Vorstände, Geschäftsführer, Direktoren, etc.), aber kaum die Opponenten und Außenseiter in der Organisation, auszumachen sind. Die Arena ist eben nicht oder nur teilweise öffentlich.

 

Was wir allerdings in großer Menge fanden, waren die Reden (und auch Schriften) von Politikern - von Regierenden, Oppositionellen und auch politischen Nonkonformisten. Verwunderlich ist dies nicht: Politiker/innen (und auch Parteien) müssen für ihre Ideen, Werte und Programme in der Öffentlichkeit werben, wollen sie Gehör finden, gewählt werden und die gesellschaftspolitischen Geschicke mitbestimmen.

 

Allein schon das zeigt eine gewisse Parallelität zum Change Management auf: Unternehmen/Organisationen sind zwar keine demokratischen Gebilde, aber auch hier muss z.B. für Veränderungsmaßnahmen durch die Führung kommunikativ „geworben“ werden, sollen Ängste und Widerstände der Belegschaft das Vorhaben nicht konterkarieren. In der Regel ist in diesem Zusammenhang von „Change Communication“ die Rede.

 

Zwei weitere Punkte sind zu bedenken:

 

a) Politische Akteure - insbesondere die in der Spitze - gehören in fast allen Gesellschaften zu den am meisten beachteten Personen (natürlich neben einigen Fußballstars, Schauspielern, Musikern, prominenten Literaten, Philosophen und Naturwissenschaftlern sowie auch einigen TOP-Managern, etc.). Dementsprechend gut sind sie dokumentiert - in Form von Berichten und Kommentaren in den Medien, persönlichen und politischen (Auto-) Biografien, in politisch-historischen Abhandlungen, in Umfragen und Politbarometern, etc., die - und das ist wichtig - mit in den Analysen berücksichtigt werden können.

 

b) Auch unter Politikwissenschaftlern hat sich die Betrachtungsweise durchgesetzt, politische Akteure vor allem als eines zu sehen: nämlich als Führende, Leader in einer Gesellschaft - auch dann, wenn sie kein Regierungsamt innehaben und „nur“ aus der Oppositionsrolle heraus agieren. Mit dem, was sie kommunizieren, reflektieren sie einerseits die gesellschaftspolitische Kultur, sie formen sie andererseits aber auch maßgeblich mit.

 

Natürlich sind die Gestaltungsfelder (Handlungsarenen) und Effizienzkriterien ihrer Führungsarbeit andere als etwa in der Wirtschaft oder in administrativen Organisationen (vgl. u.a. Grasselt & Korte, 2007). Auch beruht ihre Wirkungsweise weniger auf unmittelbaren Face-to-Face-Austauschkontakten (der sogenannten transaktionalen Führung), sondern zumeist auf medienvermittelte, öffentliche Auftritte, bei denen das, was und wie sie etwas sagen, über ihre Autorität zumindest mitentscheidet (in der Führungsforschung wird in diesem Zusammenhang häufig von charismatischer, visionärer oder transformativer Führung gesprochen, vgl. u.a. Neuberger, 2002, 195-212).

 

Kurzum: Will man empirische Forschung im Bereich der Kommunikation, Führung und Kultur betreiben, um u.a. neue Perspektiven und Impulse für das Change Management oder die Leadership-Praxis zu produzieren, bietet es sich aus unserer Sicht geradezu an, Politikerinnen und Politiker (und vor allem ihre Reden) in den Fokus zu nehmen.

 

Ausgangspunkt des WORTSTROM-Projekts war also nicht zuletzt unsere Überzeugung, anhand politischer Reden Kommunikations-, Führungs- und Wandlungsprozesse im gesellschaftlichen Kontext realitätsnah/er untersuchen zu können. Wie Forscher vor allem aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum betonen, sind neue Perspektiven und Einsichten in diesen weiten Themenbereichen vor allem dann zu erwarten, wenn, über klassische Befragungsstudien hinaus, vermehrt Forschungsmethoden zum Einsatz kommen, die eine intensive Analyse „natürlicher“ Kommunikation erlauben. Die inhaltsanalytische Untersuchung politischer Reden wird hierbei seit langem als besonders fruchtbar angesehen (vgl. u.a. Insch, Moore & Murphy, 1997). Wenn wir uns also hier mit Inhaltsanalysen und politischen Reden beschäftigen, ist das für Change Manager eher ungewöhnlich, aber vor allem eines: Mittel zum beschriebenen Zweck.

 

 

Perspektiven

 

Wir sind nicht die Einzigen, die auf die Idee gekommen sind, eine solche Arbeit anzugehen. Seit langem werden insbesondere in der politischen, historischen, biografischen, (psycho-) linguistischen und nicht zuletzt in der rhetorischen Forschung entsprechende Inhaltsanalysen zu politischen Reden, Parteiprogrammen, etc. durchgeführt.

 

Obwohl wir einige dieser Arbeiten kennen (vermutlich nur einen Bruchteil) und, soweit wie möglich, auch berücksichtigen, ist unser „Approach“ ein im weitesten Sinne verhaltenswissenschaftlicher - und eben nicht nur ein politischer, historischer, linguistischer, etc. Kommunikation, Führung und Kultur sind aus unserer Sicht letztlich „Verhaltensphänome“, wobei dies kognitive, emotionale, psycho-motorische und nicht zuletzt sprachlich-kommunikative sowie soziale Aspekte (auf individueller und institutioneller Ebene) mit einschließt. Wir orientieren uns bei unseren Analysen also vor allem an psychologischen (und auch an soziologischen) Theorien. Insofern könnte unsere Arbeit, sofern man das will, am ehesten in den Bereich der politischen Psychologie (oder Soziologie) eingeordnet werden.

 

Schon in den 50er-Jahren veröffentlichte Hans Jürgen Eysenck, ein auch heute noch recht bekannter Verhaltens- und Persönlichkeitsforscher seine Arbeit zur „Psychology of Politics“ (1963, 4. Auflg.), die inzwischen in neueren Arbeiten wieder aufgegriffen und weitergeführt wurde (u.a. Schumann, 2001).

 

Ohne hier auf Details einzugehen, zeigte Eysenck anhand einer Vielzahl von Untersuchungsergebnissen auf, dass politische (aber auch religiöse) Anschauungen und Wertorientierungen in engem Zusammenhang stehen mit typischen psychologischen Variablen - also Verhaltensweisen, kognitiv-emotionalen Prozessen/Strukturen und Persönlichkeitsmerkmalen (im weitesten Sinne). Mit anderen Worten: Kennt man die Struktur der politischen Haltungen, hat dies (vermutlich) einen hohen prognostischen Wert für künftige Entscheidungen, Prioritäten, Verhaltenstendenzen (z.B. hinsichtlich Konfliktneigung, Dominanzstreben), Führungsstile, Demokratieorientierung, etc. Der Zusammenhang zwischen einer extremen politischen Weltanschauung (sowohl in rechter oder auch linker Richtung) und einem dogmatisch-geschlossenen Denk- und Kommunikationsstil gilt inzwischen als gesichert und wird auch durch unsere bisherigen Studien klar belegt.

 

An solchen und ähnlichen Ergebnissen der psychologischen/soziologischen Forschungen schließen wir mit unseren eigenen Untersuchungen an, sofern sie für die Bereiche Kommunikation, Führung und Kultur relevant sind. Aber was genau studieren wir nun an politischen Reden? Zur Zeit sind es drei miteinander verbundene Perspektiven:

 

 

Alle drei Perspketiven spiegel für uns das wieder, was wir als (politische) Denkorienrierungen und (in der Kombination betrachtet) als Denkmuster bezeichnen.

 

Auf dieser Website sind sehr viele Kommunikationsprofile (hinsichtlich Inhalte, Stil und Tonalität) für einzelne Politikerinnen und Politiker zu finden. Dies mag zunächst den Eindruck erwecken, es ginge uns vor allem und nur um eine Art politischer Einzelfallbetrachtung (auf der Politiker- oder Redenebene), bei der interessanterweise auch noch solche Akteure einbezogen werden, die nicht mehr politisch aktiv sind.

 

Was wir allerdings besser verstehen wollen, sind die Strukturen und Entwicklungen, wenn man so will, die Dynamik von (politischen) Kommunikations- und Führungssystemen. Denn letztlich sind sie es, die (gesellschaftspolitische) Change- und Wandlungssprozesse beschleunigen, stabilisieren, verzögern, behindern, etc. (vgl. u.a. Merkel, 2010). Konkreter ausgedrückt:

 

Zum Beispiel haben Bundeskanzler/innen mit ihrer Richtlinienkompetenz sicherlich großen Einfluss auf die „Besetzung“ von Themen, priorisierte Gesetzesvorhaben, politische Initiativen, etc. und deren Umsetzung. Aber sie sind nicht die einzigen Spieler im System - andere spielen auch mit (die Minister im eigenen Kabinett einschließlich der Koalitionspartner, Partei- und Fraktionsmitglieder, Vertreter der Oppositionsparteien, Experten und Lobbyisten im Hintergrund, etc.). Dies macht deutlich, dass es notwendig ist, soweit wie möglich, das ganze System zu betrachten.

 

Systeme bestehen bekanntlich aus einzelnen Elementen mit bestimmten Relationen (Beziehungen) untereinander. Die Elemente in (politischen) Kommunikations- und Führungssystemen sind einzelne Akteure (seien es Personen oder auch Institutionen), deren Beziehungen z.B. nach Nähe oder Distanz statistisch abbildbar sind - etwa durch Ähnlichkeitskennwerte. Das ist das, was uns letztlich interessiert. Damit wird aber auch verständlich, warum wir uns zur Zeit auf einzelne Politiker/innen fokussieren.

 

In gewisser Weise ähnelt das dem, was im Bereich des Change Managements als Kraftfeldanalyse bezeichnet und mit der versucht wird, Mit-Spieler, Pass-Spieler und Gegen-Spieler und ihr Verhalten zueinander zu beschreiben. Zudem sehen wir deutliche Anknüpfungspunkte zu einer psychologisch-analytischen Systematik, die Robert Bales, ein bedeutender Sozialpsychologe, Anfang der 80er-Jahre vorgelegt hat: SYMLOG - Ein System für die mehrstufige Beobachtung von Gruppen (Bales & Cohen,1982).

 

Bales ging es vor allem darum, anhand beobachtbarer Kommunikationsprozesse (in Kleingruppen), soziale Selbstdarstellungsstile, Persönlichkeiten und ihre Motive, und die mit ihnen verbundenen Positionen, Rollen in ihrem dynamisches Zusammenspiel im Zeitverlauf zu illustrieren. Wie auch in unserem Ansatz, werden Kommunikationsprozesse auf verschiedenen Ebenen betrachtet: Auf einer thematisch-wertorientierten Ebene sowie in sprachlich-stilistischer und sozial-klimatischer Hinsicht.

 

Der Ansatz ist recht komplex und setzt voraus, dass man das Verhalten der Gruppenmitglieder über längere Zeiträume hinweg beobachtet und protokolliert - oder in der Kurzversion anhand von Ratingbögen Einschätzungen vornimmt. Inzwischen gibt es auch eine US-amerikanische Consulting Gruppe, die aufbauend auf dem (system-) analytischen Ansatz von Bales einzelne Führungskräfte, Unternehmen und Organisationen berät - insbesondere in den Bereichen Change Management, Organisations-, Team- und Führungskräfteentwicklung.

 

Wenn man so will, ist es unser langfristiges Ziel, den Ansatz von Bales (zumindest in Teilen) auf Kommunikations-, Führungs- und kulturelle Wandlungsprozesse mit Hilfe eines inhaltsanalytischen Instrumentariums zu „übersetzen“ - zunächst bezogen auf den Bereich der Politik, um darauf aufbauend einen theoretisch und methodisch fundierten Ansatz für die Leadership-Praxis und das Change Management zu entwickeln.