Psychologie politischer Reden und Kommunikation

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Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik

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Impression Management in der Politik. Psychologische Grundlagen und ein Bezugsrahmen für die inhaltsanalytische Messung von Selbstdarstellungsstilen auf der Grundlage politischer Reden.

 

Dr. Peter Niebisch

 

 

Einführung

 

Die psychologische Analyse politischer Reden und Kommunikation setzt einen theoretischen Bezugsrahmen voraus, aus dessen Perspektive die Texte betrachtet werden können. Zumeist dominieren in diesem Forschungsfeld persönlichkeits- und/oder motivationspsychologische Annahmen, d.h. man will aus der politischen Kommunikation (quasi) heraus erschließen, welche Persönlichkeitseigenschaften (traits) und/oder impliziten Motive für politische Entscheidungen und Handlungen bei einem Politker (oder einer politischen Gruppierung) maßgebend sind.

 

Dabei geht man davon aus, dass sich solche Persönlichkeitsmerkmale oder impliziten Motive nur schwer und unvollständig aufgrund einfachen Lesens oder Zuhörens erschließen lassen - sie müssen gewissermaßen „herauskristallisiert“ werden. Deswegen sind dazu sind in den letzten Jahren entsprechend elaborierte, inhaltsanalytische Instrumente entwickelt und evaluiert worden, die ihrerseits auf bestimmten trait-theoretischen Annahmen beruhen (vgl. u.a. Hermann, 2002; Niebisch, 2015, 2016b; Winter, 1994, 2005).

 

Allerdings sind persönlichkeits- und motivationspsychologische Grundlagen nicht die einzigen Perspektiven, aus denen heraus sich politische Reden und Kommunikation analysieren lassen. Aus sozialpsychologischer Sicht ist hier vor allem die sogenannte Impression Management Theorie zu nennen, die gerade im politischen und ökonomischen Bereich - nicht zuletzt aufgrund ihrer Einfachheit - auf große Resonanz stößt.

 

Im Folgenden werden die psychologischen Grundlagen dieser Theorie kurz skizziert, um darauf aufbauend unsere eigenen Untersuchungsergebnisse in diesen theoretischen Bezugsrahmen einzuordnen.

 

 

Psychologische Grundlagen

 

Während persönlichkeits- und motivationspsychologische Theorien dazu tendieren, das Verhalten einzelner Personen mehr oder weniger losgelöst vom sozialen Kontext zu betrachten, konzentrieren sich sozialpsychologische Ansätze gerade auf die wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten im sozialen Verhalten der Akteure. Das (Kommunikations-) Verhalten wird als aufeinander bezogen gedacht - die (Sprach-) Handlungen einzelner Personen werden aus dieser Sicht erst erklärbar und verständlich, wenn das ganze System mit seiner Struktur und seinen Regeln systematisch mit ins Kalkül gezogen wird.

 

Für den Bereich der politischen Kommunikation ist die Berücksichtigung dieser Perspektive von zentraler Bedeutung. Insbesondere politische Reden finden ja nicht im luftleeren Raum statt. Im Gegenteil: Sie erfüllen, wie Stüwe (2004, 19-55) am Beispiel der Großen Regierungserklärungen der Bundeskanzler deutlich macht, vielfältige Funktionen im politischen System: Informieren, Appellieren, Danken, Solidarisieren und Integrieren, Demonstration für das Ausland, Selbstdarstellung und Imagepflege. Zudem sollte, wie Stüwe in diesem Zusammenhang betont, der „symbolische Charakter“ politischer Kommunikation mit berücksichtigt werden:

 

„Politische Akteure stehen in der Demokratie unter einem permanenten Legitimationsdruck. Ziel ist ein Zustimmungsverhalten des Bürgers gegenüber den Aktionen der politischen Entscheidungsträger. Da nun aber für die große Mehrheit der Bürgerschaft Politik in ihrer ganzen Komplexität nicht direkt erfahrbar ist, muss Politik allgemein verständlich transportiert werden. Zugleich besteht angesichts der Konkurrenz mit anderen Akteuren der Bedarf, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Dies geschiet durch die Reduktion komplexer Zusammenhänge, Personalisierung von Sachfragen, Verwendung geläufiger Schlagworte und Denkschemata sowie durch Rituale und Symbole“ (2004, 35).

 

Aus dieser Perspektive betrachtet erscheinen politische Reden weniger als Ausdruck rein persönlichkeits- und motivationsbedingter Faktoren, sondern vor allem als ein Akt der strategischen Selbstinszinierung, mit der es gilt, die eigene Rolle im System zu stabilisieren (zu verteidigen, zu legitimieren, etc.) oder eben zu verändern (z.B. von der Oppositions- in die Regierungsrolle zu kommen). Inhalt und Stil der Kommunikation sind also Bestandteil bzw. Mittel eines politischen „Rollenspiels“, bei dem u.a. Themen besetzt werden, die eigene fachliche Expertise und Vertrauenswürdigkeit herausgestrichen wird, die politischen Konkurrenten abgewertet und eigene Fehler dementiert werden, etc.

 

Im Rahmen einer inzwischen vielbeachteten Teiltheorie der Sozialpsychologie, der sogenannten Impression Management Theorie (zsfd. Bazil, 2005; Mummendey, 1995; Mummendey & Bolten, 1985), haben verschiedene Forscher daran gearbeitet, solche Strategien und Taktiken der Selbstdarstellung zu systematisieren. Im weitesten Sinne kann dieser Ansatz auch als Motivationstheorie betrachtet werden, allerdings ist die Theorie, wie Mummendey hervorhebt, deutlich schlanker (mit Blick auf die Hintergrundannahmen) als andere motivationspsychologische Ansätze:

 

„Stark vereinfacht besteht die Impression-Management-Theorie aus einem einzigen Satz: Individuen kontrollieren (beeinflussen, steuern, manipulieren, etc.) in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere Personen machen“ (1995, 111).

 

Impression Management ist also kein Privileg von Politikern, sondern findet in der Kommunikation fast immer statt, wobei sich Menschen offensichtlich darin unterscheiden, wie gezielt, geschickt und wirksam sie dabei sind - Politiker und ihre Berater dürften insgesamt gesehen hier zu den „Profis“ gehören.

 

Aber wie sehen nun solche Impression-Management Strategien und Taktiken aus? Die bis heute umfangreichste Systematik ist von Tedischi, Lindskold & Rosenfeld (1985) vorgelegt worden. Die Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik bezieht sich darauf, ob die entsprechenden Verhaltensweisen situationsübergreifend wirken sollen oder eher situationsspezifisch eingesetzt werden. Darüberhinaus wird zwischen „assertiven“ und „defensiven“ Strategien und Taktiken unterschieden. Daraus ergibt sich eine Unterscheidung von vier Selbstdarstellungsmethoden (Mummendey & Bolten, 1985, 60-61):

 

 

Wie Mummendey (1995, 137 und 140) hervorhebt, erscheint diese Taxonomie aber wenig schlüssig. Insbesondere die Unterscheidung zwischen Strategie und Taktik ist nicht trennscharf. Ob nun ein bestimmtes Selbstdarstellungsverhalten eher der einen oder anderen Kategorie zuzuorden ist, kann kaum eindeutig entschieden werden. Er selbst beschränkt sich daher darauf, die wesentlichen in der Literatur dokumentierten Verhaltensmuster nebeneinander zu stellen und sie als positive oder negative Techniken zu klassifizieren. Die folgende Tabelle gibt seine Zusammenstellung wieder.

 

Tab. 1: Positive und negative Selbstdarstellungstechniken nach Mummendey (1995, 140-141).

 

 

Wie Mummendey weiterhin betont, kann „die Rolle der Sprache bei der Selbstdarstellung vermutlich gar nicht wichtig genug genommen werden. … Psychologisch-empirische Untersuchungen hierzu sind allerdings spärlich“ (210). Die Situation scheint sich mit Blick auf die Forschung bis heute nicht wesentlich geändert zu haben, allerdings hat Bazil (2005) - ein ehemaliger Referent im Deutschen Bundestag sowie Berater für Kommunikation in der Politik und in Unternehmen - inzwischen einen Ansatz vorgelegt, Impression-Management für Reden und Vorträge gezielt umzusetzen.

 

Bazil geht davon aus, dass Werte und die sie repräsentierenden Worte in der Kommunikation ganz wesentlich, wenn nicht in entscheidender Weise, die Wirkung auf das Publikum prägen: „ … Menschen, Kunden oder Konsumenten treffen ihre Entscheidungen nach Trägern von Werten bzw. Bedeutungen. Werte schaffen Vertrauen und damit Reputation. … Wollen Unternehmen einen guten Ruf aufbauen, so müssen sie ihr Handeln nach den in der Gesellschaft gültigen Werten ausrichten“ (2005, 45).

 

Für die Analyse und Planung von Reden (bzw. politischer oder unternehmerischer Kommunikation) bezieht sich Bazil auf die „Semiometrie“, einem in der kommerziellen Marktforschung entwickelten Ansatz zur Differenzierung von Wertewelten und der damit verbundenen Zuordnung von Worten bzw. Wortfeldern, die diese umfassen. Es wird von zwei Wertedimensionen ausgegangen: „Pflicht“ versus „Lebensfreude“ sowie „Sozialität“ versus „Individualität“.

 

Das Entscheidende am Ansatz von Bazil ist aber, dass er Impression-Management weniger aus der Perspektive einzelner Selbstdarstellungstechniken betrachtet, sondern vielmehr an die Wertethematik anbindet. Er löst sich gewissermaßen von der „Mikro-Betrachtung“ einzelner Kommunikationsbausteine, wie sie traditionellerweise in der Impression-Management-Forschung im Mittelpunkt stehen. Damit wird kommunikatives Impression-Management wesentlich leichter messbar und nicht zuletzt auch praktisch kalkulierbarer unter Wirkungsgesichtspunkten.

 

Die Annahme, dass vor allem kommunizierte Werte und Überzeugungen, und nicht so sehr einzelne (mehr oder weniger unzusammenhängende) Selbstdarstellungstechniken, die zentralen „Träger“ des Impression-Managements sind, hat aber auch noch weitergehende Folgen.

 

Mummendey (1995, 138-139) deutet an, dass die klassifikatorischen Probleme im Rahmen der Impression-Management-Theorie vermutlich besser lösbar wären, wenn man sich mehr darauf konzentrieren würde, persönliche - individuell unterschiedliche - Stile der Selbstdarstellung (typische Selbstpräsentationsmuster) in den Fokus zu nehmen. Seiner Auffassung nach ist davon auszugehen, dass Menschen mit einer bestimmten Art in diversen Situationen „sich zu geben“ gute Erfahrungen gemacht haben und mit der Zeit „ihren“ Stil weiter verfeinern. Die einzelnen Techniken sind dann lediglich Bausteine, die je nach genereller Selbstdarstellungsorientierung als passend empfunden und in den eigenen Stil integriert werden.

 

Damit stellt sich aber die Frage nach einem brauchbaren theoretischen und methodischen Bezugsrahmen, mit dem Selbstdarstellungsstile gemessen und beschrieben werden können. (Wert-) Thematische und stilistische (Denk-) Orientierungen als übergeordnete Bezüge bieten sich hier geradezu an.

 

 

Methodischer und theoretischer Bezugsrahmen

 

Methodischer Bezugsrahmen:

 

Mit unserem eigenen Untersuchungsansatz konzentrieren wir uns - ähnlich wie in der angesprochenen Semiometrie - auf Worte bzw. Wortfelder in politischen Reden (oder auch Schriften). Methodisch gesehen sind unsere Arbeiten dem Bereich der quantitativ-computergestützen Inhaltsanalyse zuzuordnen, d.h. mit Hilfe verschiedener inhaltsanalytischer Diktionäre analysieren wir die (relative) Häufigkeit (im Verhältnis zur jeweiligen Textlänge) bestimmter sprachlicher Ausdrücke (Worte, Wortfelder oder Phrasen) in den jeweiligen Texten.

 

Wir verwenden dabei drei Diktionärsysteme: a) die Dogmatismustextanalyse (DOTA), b) den Regressive Imagery Dictionary (RID) sowie c) das System für die modulare Analyse von Texten (SymTex) - wobei das letzte Diktionärsystem eine eigene Entwicklung im Rahmen des Forschungsprojektes WORTSTROM ist. Für eine ausführliche Beschreibung aller drei Diktionärsysteme verweisen wir hier auf die Rubriken auf dieser Webseite (unter „Diktionäre“ ).

 

Mit SymTex werden vor allem - aber nicht ausschließlich - (wert-) thematische Konstrukte erfasst - ähnlich wie in der Semiometrie. Ausgangspunkt für die Entwicklung war hier allerdings das empirische Wertemodell von Schwartz mit insgesamt 10 Werteclustern (vgl. u.a. Schwartz 1994, 2004; Bardi & Schwartz, 2003; Bilsky & Schwartz, 1994; Bilsky & Jehn, 2002). Beispiele: Wandlungsthematische, selbstbestimmungsthematische, machtthematische, gemeinschaftsthematische Ausdrücke, etc.

 

Das DOTA-Verfahren misst sprachliche Prägnanztendenzen - also stilistische Kommunikationsmerkmale, die sich gerade für politische Texte als wesentlich herausgestellt haben. Vor allem zwei Indexwerte sind hier von Bedeutung:

 

Referentielle Prägnanz: Tendenz zur sprachlichen (Über-) Generalisierung und Vereinfachung mit geringer Differenzierung in den Aussagen - hierbei handelt es sich um den „eigentlichen“ Dogmatismusindex. Beispiel: Nie bringst Du mir Blumen mit und immer drückst Du dich vor der Hausarbeit.

 

Operative Prägnanz: Tendenz zur Gewissheit und Notwendigkeit - sie zeigt die Kohärenz gedanklicher Abläufe und wird häufig als Ratio-Faktor bezeichnet. In gewisser Weise wird mit diesem Indexwert auch der Appellcharakter eines Textes erfasst. Beispiel: Es ist nun gewiss, …, wir müssen uns daher …

 

Theoretischer Bezugsrahmen:

 

Unsere faktorenanalytischen Grundlagenstudien im Rahmen der Validitätsprüfung - insbesondere mit SymTex und DOTA - zeigen nun eine stabile Fünf-Faktoren-Struktur. Die gefundenen Faktoren können aus unserer Sicht (eben auch) als Komponenten politisch-kommunikativer Selbstdarstellungsstile betrachtet werden.

 

Gerechnet wurde bei dieser Analyse über alle bis dahin erfassten 264 Politiker/innen auf der aggregierten Ebene - also pro Politiker/in ein Datensatz über alle (seine/ihre) bei uns vorhandenen Reden. Das Ergebnis ist in Tabelle 2 in der linken Teil-Tabelle  zu sehen - in der rechten Teiltabelle befinden sich die von uns vergebenen Faktorlabels (Domination, Lektion, etc.) sowie die sozialpsychologischen Bezüge, die wir in diesem Zusammenhang sehen. Für eine ausführliche Beschreibung der einzelnen Faktoren und ihre Labels verweisen wir auf Niebisch (2016b) - auf dieser Website (Rubrik „Artikel“ ).

 

Tab. 2: Ergebnisse der explorativen Faktorenanalyse und sozialpsychologische Bezüge.

 

 

 

 

 

Faktoreninterpretation:

 

Im alltäglichen Sprachgebrauch werden bestimmte Selbstdarstellungsstile häufig mit einem Label versehen: Man bezeichnet eine Person z.B. als Querdenker, Hochstapler, Primadonna, Moralist, Kümmerer, Chameur, Hansdampf, Besserwisser, etc. Damit wird einerseits versucht, dass besonders Charakteristische im Verhalten zu kennzeichnen und andererseits wird die betreffende Person indirekt auch in einer bestimmten „Rolle“ im sozialen System gesehen.

 

Betrachtet man die Fünf-Faktoren-Struktur aus diesem Blickwinkel, können die einzelnen Faktoren (grau hinterlegt) als empirisch fundierte Komponenten von politisch-kommunikativen Selbstdarstellungsstilen bzw. (wahrgenommenen) Rollen interpretiert werden. Vor diesem Hintergrund gibt es dabei unterschiedliche Wege bzw. Strategien, sich im politischen Feld zu positionieren. Metaphorisch betrachtet ist es eine „Klaviatur“ mit fünf „Tasten“: Man kann sich in der politischen Arena darstellen …

 

 

Je nach dem, wie häufig und wie stark die einzelnen „Tasten“ angeschlagen werden, ergibt sich eine andere Tonalität, mit vermutlich recht unterschiedlichen, aber durchaus abschätzbaren Wirkungen im sozialen System der Politik - die besonders dann kalkulierbar werden, wenn dabei auch die Positionierungsstrategien politischer Kontrahenten mit analysiert werden.

 

Wir sehen hier deutliche Anknüpfungspunkte zu einer psychologisch-analytischen Systematik, die Robert Bales, ein bedeutender Sozialpsychologe, Anfang der 80er-Jahre vorgelegt hat: SYMLOG - Ein System für die mehrstufige Beobachtung von Gruppen (Bales & Cohen,1982). Bales ging es vor allem darum, anhand beobachtbarer Kommunikationsprozesse (in Kleingruppen), soziale Selbstdarstellungsstile, Positionen, Rollen und ihr dynamisches Zusammenspiel im Zeitverlauf zu illustrieren. Wie auch in unserem Ansatz, werden Kommunikationsprozesse auf verschiedenen Ebenen betrachtet: Auf einer thematisch-wertorientierten Ebene sowie in sprachlich-stilistischer und sozial-klimatischer Hinsicht. Der Ansatz ist recht komplex und setzt voraus, dass man das Verhalten der Gruppenmitglieder über längere Zeiträume hinweg beobachtet und protokolliert oder in der Kurzversion anhand von Ratingbögen Einschätzungen vornimmt. Inzwischen gibt es auch eine US-amerikanische Consulting Gruppe, die aufbauend auf dem (system-) analytischen Ansatz von Bales Unternehmen und Organisationen berät - insbesondere in den Bereichen Organisations-, Team- und Führungskräfteentwicklung.

 

Ähnlich wie bei SYMLOG stellen auch wir unsere Ergebnisse in Form von Einzelfallanalysen (Kommunikationsprofilen) und Positionierungscharts dar - was im Folgenden anhand unseres Datenmaterials beispielhaft demonstriert werden soll.

 

 

Empirische Beispiele

 

Zu diesem Zweck wurden aus unserem Referenzdatensatz verschiedene Politiker/innen ausgewählt und zwar einerseits Oppositionspolitiker der politischen Linken und andererseits Politiker die im etwa gleichen Zeitraum Regierungsfunktionen auf der Bundesminister-Ebene innehatten. Die Annahme war, dass sich diese beiden Politikergruppen hinsichtlich ihrer Selbstdarstellungsstile in der politischen Rede-Arena - insbesondere im Blick auf die Komponente Lektion - deutlich unterscheiden müssten und dementsprechend auch deutlich getrennte Positionen in einem zweidimensionalen Positionierungschart einnehmen.

 

Ausgewählte Oppositionspolitiker der politischen Linken (in alphabetischer Folge):

 

 

Ausgewählte Regierungspolitiker (in alphabetischer Folge):

 

 

Die beiden folgenden Abbildungen zeigen zunächst die Kommunikationsprofile für die Faktoren (Domination, Lektion, Kohäsion, Lokomtion, Regulation): Abbildung 1 für die ausgewählten Oppositionspolitiker der politischen Linken und Abbildung 2 für die ausgewählten Regierungspolitiker. Die Werte für die Kommunikationsdimensionen werden über Faktorsummenscores gebildet, wobei nur die positiv gerichteten Variablen (der Faktorenanalyse) berücksichtigt werden:

 

 

Dargestellt sind die am Referenzdatensatz (3678 Reden von 264 Politikern) relativierten Werte mit einem Mittelwert von 100 pro Dimension. Deutliche Abweichungen von 100 nach oben oder unten sind bedeutsam. Zu beachten sind die unterschiedlichen Skalierungen auf y-Achse bei Oppositions- und Regierungspolitikern.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abb. 1: Kennwerte für die 5 Selbstdarstellungskomponenten bei Oppositionspolitikern der politischen Linken.

Abb. 2: Kennwerte für die 5 Selbstdarstellungskomponenten bei Regierungspolitikern aus unterschiedlichen Parteien (CDU, CSU, SPD, FDP).

Schon ein kurzer Blick auf die beiden Abbildungen zeigt, dass sich die Selbstdarstellungsstile von Oppositions- und Regierungspolitikern erheblich unterscheiden - was natürlich nicht verwundert. Die Lektionswerte liegen bei den linken Oppositionspolitiker deutlich über 100 Punkten (zwischen 107 und 398!), während sie bei den Regierungspolitikern in allen Fällen deutlich unter 100 Punkten liegen (zwischen 29 und 95).

 

Mit 398 Punkten in der Lektionskomponente kann Wagenknecht - selbst im Verhältnis zu ihren politischen „Oppositionsfreunden“ - als Ausnahmefall angesehen werden. Maßgebend für diesen Wert sind vor allem die Kategorien Negative Evaluation (527) sowie die sehr hohe Verwendung von Schimpf- und Kraftausdrücken (Beschimpfung = 1250). Bei Lötzsch ist der Lektionskennwert nur mäßig erhöht (107). Für Gysi und Lafontaine zeigt sich ein recht synchrones Profilbild - mit ebenfalls schon überdurchschnittlich hohen Lektionswerten. Auffallend bei den ausgewählten Regierungspolitikern sind einige recht markante, außergewönhnliche Profile: z.B. bei von der Leyen, Niebel und Schavan mit Lokomotionswerten sehr deutlich über 100 Punkten, was vor allem darauf hindeutet, dass sie sich in ihrem politischen Selbstverständnis als „Anreger, Gestalter, Treiber“ verstehen bzw. verstanden haben.

 

Mit Hilfe der Multidimensionalen Skalierung (MDS) wurden anschließend die einzelnen Politiker-Positionen berechnet. Das Ergebnis ist in Abbildung 3 zu sehen.

 

Exkurs: Vereinfacht ausgedrückt wird mit diesem statistischen Verfahren im ersten Schritt die (Un-) Ähnlichkeit der einzelnen Politiker (jeder mit jedem) aufgrund der berücksichtigten Kennwerte (in unserem Fall Domination, Lektion, etc.) ermittelt. Im zweiten Schritt werden die (Un-) Ähnlichkeitswerte in einen (in der Regel) zweidimensionalen Raum projiziert und iterativ so „gegeneinander verschoben“, dass eine möglichst optimale Konfiguration entsteht, wobei geringe Distanzen Ähnlichkeit und größere Distanzen Unähnlichkeit ausdrücken. Die Güte der gefundenen Konfiguration wird u.a. mit dem sogenannten Stress-Wert (Kruskal's stress formula I) angegeben - je mehr der Wert gegen 0 geht, desto optimaler die Anpassung. Als Distanzmetrik wurde die sogenannte Euklidische Distanz gewählt, gerechnet wurde auf Ordinalskalenniveau.

 

 

 

 

Abb. 3: Ergebnis der MDS über 5 Selbstdarstellungskomponenten bei allen berücksichtigten Oppositions- und Regierungspolitikern (Stress-Wert = 0,026).

Das Resultat der MDS spiegelt die Ergebnisse aus Abbildung 1 und 2 nochmals in komprimierter Form wieder:

 

Wagenknecht unterscheidet sich in sehr prägnanter Form in ihrem Selbstdarstellungsstil von den restlichen Politikern, Lafontaine und Gysi ähneln sich sehr in der Art des Auftretens in der politischen Rede-Arena, während sich Lötzsch relativ weit entfernt von den drei linken Oppositionspolitikern befindet. Das Cluster der Oppositionspolitiker ist also weit weniger geschlossen als zunächst erwartet wurde. Allerdings befinden sich alle vier Politiker/innen links von dem Null-Punkt der ersten Dimension gesehen. Die erste Dimension scheint also die klassische, politische  „Links-Rechts-Skalierung“ wiederzuspiegeln, wofür auch die beiden Positionen der SPD-Politiker Steinbrück und Gabriel sprechen, die von den restlichen Politikern aus gesehen relativ links liegen - allerdings noch im rechten Cluster.

 

Die zweite (vertikale) Dimension trennt „Lokomotionspolitiker“ (Anreger, Gestalter, Treiber) von „Regulationspolitikern“ (Ordnungshüter, Regulierer). Markant ist hier die Position von Guttenberg, der von allen hier betrachteten Politikern den höchsten Wert bei der Regulationskomponente hat (132), gefolgt von Gysi (121) und Lafontaine (120). Oben rechts befindet sich das Cluster von Politikern mit sehr hohen Werten in der Lokomotionskomponente: Schavan (127), Niebel (134) und von der Leyen (138).

 

Insgesamt gesehen wird also hier mit der MDS zwischen vier Politikergruppen unterschieden: Rechte und linke „Regulationspolitiker“ sowie rechte und linke „Lokomotionspolitiker“ - was aus unserer Sicht mit Blick auf psychologisch-politische Selbstdarstellungsstile Sinn macht. Allerdings muss in diesem Zusammenhang noch eines berücksichtigt werden:

 

Wie unsere Untersuchungen weiterhin zeigen (vgl. Niebisch, 2016a & 2016b - auf dieser Website unter Rubrik „Artikel“ ) spielt der Faktor Domination (konfrontative Durchsetzung politischer Ideologien oder Machtinteressen) in der Beschreibung von Politikern eine entscheidende Rolle - insbesondere dann, wenn es um politischen (linken und/oder rechten) Extremismus geht. Alle hier ausgewählten Politiker/innen haben was diesen Faktor betrifft deutlich unterdurchschnittliche Werte und können insofern als gemäßigt gelten - was im Übrigen auch für die hier ausgewählten linken Oppositionspolitiker gilt. Mit anderen Worten: Die hier gefundene Konstellation von Politkern ist vermutlich nur ein Sonderfall für Politiker mit grundsätzlich demokratischer Weltanschauung - sei sie nun eher links- oder rechtslastig.   

 

 

Schlussbemerkungen

 

Ziel dieser Arbeit war es, das Thema Impression Management in der Politik näher zu beleuchten. Dazu wurden im ersten Teil die Grundzüge dieser psychologischen Theorie skizziert. Darauf aufbauend wurden Fragen der inhaltsanalytischen Messung von Selbstdarstellungsstilen in der politischen Rede-Arena behandelt, wobei es uns vor allem darum ging, einen methodischen und theoretischen Bezugsrahmen aufzuzeigen.

 

Was den theoretischen Bezugsrahmen betrifft, konnte gezeigt werden, dass unser Fünf-Faktoren-Modell politischer Kommunikation (mit den Dimensionen Domination, Lektion, Kohäsion, Lokomotion und Regulation) durchaus geeignet ist, psychologisch-politische Selbstdarstellungsstile auf der Grundlage politischer Reden zu differenzieren - und dass diese Differenzierung sowohl unter psychologischen wie auch unter politologischen Gesichtspunkten stimmig (und vermutlich auch weitgehend erschöpfend) ist.

 

Im letzten Teil dieser Arbeit ging es vor allem darum, unsere Argumentation mit konkreten Forschungsdaten zu ausgewählten Politikern zu untermauern. Insbesondere die Positionierungsanalyse zeigt eine klare Strukturierung von Politikern nach politischen Selbstdarstellungsstilen, die aus unserer Sicht ebenfalls realitätsgerecht ist. Wir haben hier auf bekannte Politiker/innen zurückgegriffen, wobei wir uns darüber bewusst sind, dass solche Positionierungsstudien vor allem dann interessant werden, wenn auch neue oder weniger populäre Politiker/innen berücksichtigt sind, deren politische Positionen in der Öffentlichkeit noch weitgehend unklar sind.

 

Ob man nun unsere Daten mehr unter einer persönlichkeits- und motivationspsychologischen Perspektive (vgl. Niebisch 2016b - auf dieser Website) oder, wie hier geschehen, unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten betrachten sollte, muss an dieser Stelle offen bleiben. Beide Perspektiven scheinen möglich und sinnvoll zu sein. Im Gegensatz zu einer persönlichkeits- oder motivationspsychologischen Perspektive ist der sozialpsychologische Ansatz der Impression Management Theorie deutlich sparsamer: Es werden keine weiteren Dispositionen und/oder Motive unterstellt bis eben auf die, dass Menschen (Politiker) bestrebt sind, eine guten Eindruck auf andere zu machen und mit ihren Positionen zu überzeugen.