Psychologie politischer Reden und Kommunikation

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Politische Psychologie: Denkorientierungen und Denkmuster von Führenden in der Politik

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Politische Rede im Wortlaut

 

Ludwig Erhard: Große Regierungserklärung am 10.11.1965

 

Redeanalyse (Kommunikationsprofil)

 

 

„Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

 

Die Wahlen zum 5. Deutschen Bundestag standen unter der Forderung nach Sicherheit und Stabilität unseres wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Die Wahlentscheidung selbst bewies, wie eng im Bewußtsein der Wähler der Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Stabilität und politischer Sicherheit geworden ist. Die Bundesregierung hat ein überzeugendes Mandat für eine solche Politik erhalten. Den Wählern ist für ihr Vertrauen nicht besser zu danken, als ihren Auftrag in den kommenden Jahren sehr ernst zu nehmen und die zur Sicherung dieser Ordnung notwendigen Aufgaben schnell und entschlossen anzupacken. Es entsprach dieser Notwendigkeit, daß die Bundesregierung sogleich nach ihrer Bildung den Plan für den Haushaltsausgleich 1966 erarbeitet und dem Bundesrat zugeleitet hat.

 

Der Wahlkampf hat manche Wunden hinterlassen. Sie zu heilen sollte unser aller Bestreben sein. Niemand in diesem Hohen Hause wird mir widersprechen, wenn ich sage, daß die Wahl nicht nur einen Auftrag an die Regierung bedeutet, sondern an alle Parteien des Deutschen Bundestages. Wir alle - und ich meine damit auch die Opposition - haben ein hohes Maß an Verantwortung zu tragen, haben gemeinsam ans Werk zu gehen, wobei ich unter Gemeinsamkeit nicht Gleichheit, geschweige denn mangelnde Opposition verstehe. Als Staatsbürger sind wir alle Gewinner dieser Bundestagswahl, weil sich in ihr die deutsche Demokratie als eine stabile Ordnung erwiesen hat.

 

Der 5. Deutsche Bundestag wurde im 20. Jahr nach dem Ende des 2. Weltkrieges gewählt. 167 seiner 518 Abgeordneten erreichten erst nach 1945 das Alter der Wählbarkeit. Zwei Drittel unseres Volkes waren im Jahre 1933 Kinder oder noch nicht geboren. Für nahezu die Hälfte aller Menschen in unserem Lande sind die Jahre 1933 bis 1945 geschichtliche Vergangenheit ohne persönliche Erinnerung. Für nahezu die Hälfte aller Völker der Erde liegt die Stunde Null ihrer nationalstaatlichen Geschichte nach dem Jahre 1945. Alle Generationen unseres Volkes tragen zwar an den Folgen einer im deutschen Namen von 1933 bis 1945 geübten Politik. Die Bezugspunkte in der Arbeit des 5. Deutschen Bundestages und der Politik der Bundesregierung dürfen dennoch nicht mehr der Krieg und die Nachkriegszeit sein. Sie liegen nicht hinter uns, sondern vor uns. Die Nachkriegszeit ist zu Ende!

 

Deutschland ist geteilt, ist zur Hälfte dem Machtanspruch einer Siegernation unterworfen. So wahr das ist und so schwer wir das empfinden, würden wir uns dennoch irren, wollten wir darauf bauen, für die Völker der Erde sei das geteilte Deutschland ein politisches Gebiet, das wegen seiner Teilung ohne weiteres auf Sympathie und Hilfe rechnen könne. Die Wiedervereinigung Deutschlands wird nicht zuletzt von unserer Fähigkeit abhängen, die uns freundschaftlich verbundenen und die uns vorerst indifferent begegnenden, ja sogar gegnerischen Mächte an dieser Wiedervereinigung politisch und wirtschaftlich zu interessieren.

 

Dieses Jahr 1965 liegt hinter jener weltpolitischen Phase, die wir als Nachkriegszeit bezeichnen - die Nachkriegszeit, in der die Bundesrepublik entstand, in der sie zunächst als Objekt der Weltpolitik, später als aktiv handelnde Macht Gewicht erlangte. Die Nachkriegszeit war weltpolitisch betrachtet keine ‚Friedenszeit’. Sie war Jahre hindurch bestimmt durch den Zerfall der im Kriege siegreichen Mächtekoalition in zwei Blöcke. In der Nachkriegszeit war der Bundesrepublik die außenpolitische Linie klar vorgezeichnet: Eine Politik ‚zwischen den Blöcken’ wäre utopisch und am Ende sogar selbstmörderisch gewesen.

 

Die Bundesrepublik wurde zu einem festen Teil der westlichen Welt. Die Freundschaft zwischen unserem Volk und dem französischen ist ein Unterpfand der Hoffnung aller Europäer, daß dieser Kontinent politische Gestalt finde. Auf dieses Ziel hin sind alle Möglichkeiten des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages voll auszuschöpfen.

 

Viel weniger vorgegeben - im Gegenteil immerfort hart umkämpft, von innen wie von außen kritisiert oder angefeindet waren die Leitlinien unseres wirtschaftlichen Aufstiegs und der sozialen Gesundung unseres Volkes. Inzwischen wurde dieser wesentliche politische Inhalt deutscher Nachkriegszeit über die Parteien hinweg zur allgemeinen Grundlage deutscher Innenpolitik. Unser deutsches Modell einer modernen Wirtschafts- und Sozialordnung gerät aus dem Höhenflug des einstmals als ‚Wunder’ erschienenen Erfolges in die natürliche Phase alltäglicher Bewährung. Es stellt sich uns die Frage, ob wir eingetretene Verkrustungen dieser Ordnung lösen, bislang außerhalb der sozialen Marktwirtschaft gebliebene Schutzbereiche in den Fortschrittsprozeß organisch einbeziehen und damit der immer noch anzutreffenden Neigung zu einer sterilen Verzünftelung sogenannter Besitzstände ein Ende bereiten können. Es geht darum, ob dieses Volk, dieses Parlament, diese Bundesregierung, ob wir nur in spannungsvoller Nachkriegszeit, in der Zeit des Wiederaufbaus zielstrebig Kraft und Phantasie zu entwickeln imstande waren.

 

Mochte in der Nachkriegszeit mit einfachen Alternativen von schwarz und weiß, gut und böse, falsch und richtig die eine oder die andere innen- oder außenpolitische Illusion parlamentarischer Einzelgänger noch hingehen; heute indessen muß vor jeder öffentlichen Äußerung die Frage nach der politischen Verantwortbarkeit derlei individueller Aussagen stehen.

 

In dem permanenten Spannungsverhältnis zwischen dem kurzfristig oft leicht Durchsetzbaren und dem langfristig Richtigen und Notwendigen werden Bundestag und Bundesregierung in den kommenden vier Jahren schwere Entscheidungen zu treffen haben.

 

Wenn meine Regierungserklärung von Sorge und Zuversicht zugleich bestimmt ist, so deshalb, weil sich im Prozeß des deutschen Wiederaufbaus wichtige wirtschafts-, sozial- und außenpolitische Daten verändert haben. Dieser neuen Lage gerecht zu werden und aus gewonnenen Einsichten praktische Nutzanwendungen zu ziehen, das ist die Aufgabe der Politik in der vor uns liegenden Legislaturperiode.

 

Im folgenden gebe ich Ihnen, eine nüchterne Analyse unserer wirtschafts- und finanzpolitischen Situation und der sich daraus ergebenden notwendigen Maßnahmen.

 

Unsere wirtschaftliche Situation und die Lage der Staatsfinanzen kann nicht ohne Sorge betrachtet werden. Sie unterscheidet sich aber in einem grundsätzlich von wirtschaftlichen Vorgängen der zwanziger und dreißiger Jahre. Heute sind wir dank besserer Einsichten und auf Grund eines weit entwickelten Instrumentariums in der Lage, Ursachen klar zu erkennen und - wenn wir wollen - auch Abhilfe zu schaffen. Wir stehen dank der unlösbaren weltwirtschaftlichen Verflechtung Schwierigkeiten dann nicht machtlos gegenüber, wenn der Staat - die Bundesregierung und alle öffentlichen Hände - vor allem aber auch Arbeitgeber und Gewerkschaften bereit sind, unsere stabile und sozial-verpflichtete, freiheitliche Wirtschaftsordnung zu erhalten und sie gegen jede Aufweichung zu verteidigen. Das wiederum ist angesichts der verfassungsrechtlichen und sonstigen Gegebenheiten zwar nur eine Erwartung, die sich aber erfüllt, wenn alle erkennen und anerkennen, daß nur eine enge Kooperation den Interessen aller Rechnung trägt. Dabei dürfen wir uns in der Haushaltsgestaltung nicht darauf beschränken, uns nur innerhalb der von der Währungsstabilität gezogenen Grenzen zu bewegen. Wir müssen vielmehr bewußter und wirksamer als bisher im Bundeshaushalt ein Instrument dafür erkennen, die Aufgaben der Zukunft zu meistern. Das erfordert sowohl die Fixierung politischer Prioritäten als auch eine langfristige Haushaltsplanung.

 

Erfolg werden wir nur haben, wenn wir auf die Dauer und auf allen Gebieten diesem Ziel der Stabilität zu dienen bereit sind. Die öffentliche Zustimmung ist uns auf lange Sicht gewiß, wenn wir nur entschlossen handeln. Aber die Regierung wäre verpflichtet, auch dann zu handeln, wenn sie dieser öffentlichen Zustimmung nicht in jedem Augenblick gewiß sein könnte. Denn die Idylle eines trügerischen Wohlergehens um den Preis einer inflationären Entwicklung müßte mit der Zerreißung unserer wirtschaftlichen und finanziellen Ordnung enden.

 

So umstritten oder einseitig es erscheinen könnte, angesichts der vielfältigen Aufgaben außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischer Art Walther Rathenaus Aussage zuzustimmen, daß die Wirtschaft unser Schicksal sei, ist doch nicht zu verkennen, daß die starke wirtschaftliche Stellung der Bundesrepublik, ihre Leistungskraft und handelspolitische Geltung der deutschen Außenpolitik ein besonders wirksames Instrument an die Hand geben. Wirtschaftliche Kraft münzt sich um in politische Stärke, wie umgekehrt politische Sicherheit der Wirtschaft und Gesellschaft zu gedeihlicher Entwicklung verhilft. Jedenfalls würde eine wirtschaftliche Schwächung unseres Landes, neben den schwerwiegenden innenpolitischen Folgewirkungen, unserem außenpolitischen Rang und unserer Handlungsfähigkeit in der Welt schweren Schaden zufügen.

 

Die deutsche Außenpolitik muß sich bei der Verteidigung deutscher Lebensinteressen und der Durchsetzung der politischen Anliegen unseres gespaltenen Landes in überzeugender Weise auf ein sozial stabiles und wirtschaftlich lebenskräftiges Deutschland stützen können. Die uns gezollte Achtung und Anerkennung der Welt gilt neben der vom deutschen Volk bezeugten demokratischen Haltung der gesellschaftlichen Ordnung, die wir aus dem Chaos schufen, und dem erstaunlich raschen und erfolgreichen Wiederaufbau. Auf diese Weise sind wir - ich sage es ohne Überheblichkeit - wieder etwas geworden. Das deutsche Kräftepotential hat innerhalb des Bündnisses Gewicht erlangt; dies wird auch im gegnerischen Lager, wenn auch mit anderen Vorzeichen, registriert.

 

Was aber macht das deutsche Kräftepotential aus? Es sind die Menschen, ihr Wille und ihre Fähigkeit zu arbeiten, geistige und wirtschaftliche Leistungen zu vollbringen. Dieses Potential erwächst aus der Dynamik einer freiheitlichen Ordnung. Vor allem aber beruht es auf einem modernen Gesellschaftsgefüge, das die Grundlagen bildet für alle in die Zukunft gerichteten kulturellen, wissenschaftlichen, wirtschaftlich-technischen und sozialen Anstrengungen.

 

Nach den geschichtlichen Erfahrungen unseres Volkes, die das Bewußtsein der Abhängigkeit aller von allen geweckt und bestärkt haben, hat die deutsche Gesellschaft den Charakter einer Klassengesellschaft verloren. An ihre Stelle ist eine Leistungsgemeinschaft getreten. Trotzdem dürfen wir nicht verkennen, daß diese noch von innen bedroht ist, nämlich durch allzu viele Versuche, partiellen Interessen ein Übergewicht zu verschaffen.

 

Wollen wir auf dem Weg des bisherigen Erfolges, des Fortschritts, des politischen und sozialen Friedens bleiben, so muß die deutsche Gesellschaft weitere Schritte in jene moderne Ordnung tun, die ich als formierte Gesellschaft charakterisiere.

 

Sie wird nicht durch eine Aktion geschaffen, sondern entfaltet sich aus einem Prozeß. Sie ist auch nicht ständestaatlich gegliedert; vielmehr beruht sie auf der Überzeugung, daß die Menschen nicht nur durch Gesetze, sondern aus Einsicht das ihrem eigenen Wohle Dienende zu tun bereit sind.

 

Die formierte Gesellschaft ist jedoch alles andere als eine philanthropische Vision. Sie geht also nicht von einem weltfremden idealtypischen Menschenbild aus. Diese moderne Leistungsgesellschaft ist gewiß auch nicht frei von Interessengegensätzen. Aber diese sind nicht mehr Elemente des Zerfalls ihrer Einheit, sondern werden immer mehr Motor eines permanenten Interessenausgleichs unter dem Gesichtspunkt des allgemeinen Wohls.

 

Diese neue Ordnung ist die gesellschaftspolitische Konsequenz der sozialen Marktwirtschaft. Gerade am Beispiel der sozialen Marktwirtschaft läßt sich aufzeigen, daß die formierte Gesellschaft keine Utopie ist. 1948 und in den nachfolgenden Jahren wurden mit scheinbar guten Gründen Sorgen vorgetragen, die völlige Liberalisierung der deutschen Nachkriegswirtschaft könnte vor allem zu Lasten der sozial schwachen Gruppen gehen. Befürchtungen wurden laut, daß die infolge dieser Wirtschaftsform und der technologischen Entwicklung notwendig werdenden sozialen Umschichtungen nicht wiedergutzumachende Schäden am Volksganzen verursachen würden oder daß die geringe Produktion zur Abdeckung der Kaufkraft nicht ausreichen könnte. Mittlerweile haben alle Schichten und Gruppen unseres Volkes erfahren, daß die Vertretung der eigenen Interessen nicht notwendig den Konflikt mit anderen auslösen muß, sondern daß der verständnisvolle Ausgleich ein gutes Mittel demokratischer Politik ist.

 

Eine so formierte Gesellschaft setzt eine informierte Gesellschaft voraus.

 

Der Bürger kann sich nur richtig verhalten, wenn er Bescheid weiß.

 

Über Handlungen und Absichten des Staates muß er rasch, korrekt und umfassend unterrichtet werden.

 

- Das kritisieren Sie ja.

 

Da die Informationsnotwendigkeit auch in umgekehrter Richtung für den Staat besteht, ist die Ausnutzung neuester technischer Möglichkeiten sowie die rasche Auswertung wissenschaftlicher Erkenntnisse erforderlich.

 

Bei ihrem Bemühen, der Welt ein Bild Deutschlands zu zeichnen, das der politischen Realität von heute und der historischen Wahrheit entspricht, ist die Bundesregierung auf die verantwortungsbewußte Hilfe der öffentlichen Meinungsträger angewiesen.

 

Die formierte Gesellschaft ist ihrem Wesen nach eine friedliche Gesellschaft, die auf der dynamischen  Kraft des innen- und außenpolitischen Interessenausgleichs beruht. Das eben heißt auch, daß der Selbstdarstellung unseres Staates im Ausland, als Hilfsmittel, ja teilweise sogar als Voraussetzung unserer Außenpolitik, große Bedeutung zukommt. Alle Aufgaben, die sich auf diesem Feld stellen, verdienen vorrangige Lösung.

 

Dieser neuzeitlichen Gesellschaftsform erwachsen auf allen politischen Gebieten neue große Aufgaben. Ihre rationale Klarheit und Überschaubarkeit sollen den einzelnen in die Lage versetzen, an den öffentlichen Dingen teilzuhaben. Diese Gesellschaft wird die staatliche Autorität so weit stärken, daß notwendige Reformen und die Festsetzung von Prioritäten bei der Lösung der Gemeinschaftsaufgaben Anerkennung finden und dadurch politisch möglich werden.

 

Wir haben uns vielleicht allzu selbstverständlich der Täuschung hingegeben, daß in einer expansiven, dynamischen Volkswirtschaft der Ausweitung des privaten Verbrauchs, der Investitionstätigkeit und der Ausgabensteigerung der öffentlichen Hand überhaupt keine Grenzen mehr gesetzt seien. Unsere Wirtschaft war in der Vergangenheit, wenn auch nicht ohne Preissteigerungen, im ganzen doch in der Lage, das jeweilige Nachfrage-Mehr durch kurz darauffolgende Produktionsausweitungen weitgehend aufzufangen.

 

Mit der Erschöpfung der deutschen Arbeitskraftreserven zeichnet sich aber immer deutlicher eine grundlegende Änderung ab. Diese Wende wurde, weil sie sich aus einem längeren Prozeß heraus entwickelte, in ihrer ganzen Tragweite von vielen nicht rechtzeitig und nicht voll gewürdigt. Die zunehmende Beengung des Arbeitsmarktes bot den Arbeitnehmern die Möglichkeit, bessere materielle Arbeitsbedingungen durchzusetzen, während die Arbeitgeber in Ausnutzung ihrer Marktchancen bereit waren, nicht nur höhere Tariflöhne zu akzeptieren, sondern die Effektivlöhne nicht unerheblich über dieses Niveau hinaus anzuheben. Für Anklage und Rechtfertigung ist hier also kein Raum.

 

Lassen wir darum Fakten sprechen! In den letzten fünf Jahren, d.h. von 1960 bis einschließlich 1964, erzielte die Bundesrepublik in ihrer Handelsbilanz einen jährlichen Überschuß von durchschnittlich 5 1/2 Milliarden DM; er machte noch im Jahre 1964 6,1 Milliarden DM aus, während die ersten neun Monate 1965 nur noch ein Ausfuhrplus von 616 Millionen DM ausweisen. Besonders beachtenswert ist der Umstand, daß die Verschlechterung der Handelsbilanz in weitestem Umfange, ja fast ausschließlich, aus verstärkten Exporten der EWG-Länder in die Bundesrepublik resultiert.

 

Diese Entwicklung ist gewiß nicht nur aus einer Ursache heraus zu erklären. Immerhin aber muß es bedenklich stimmen, wenn in einem freien und offenen Markt, in dem die Zölle nur mehr 20 % der ursprünglichen Sätze ausmachen, die deutsche handelspolitische Position schwächer geworden ist. Wir dürfen nicht an der Erkenntnis vorübergehen, daß diese Verschlechterung wesentlich auf der inneren Über-Nachfrage beruht. Eine weitere fortdauernde Aufblähung der Einkommen und eine anhaltende Kostensteigerung müßten unsere Wettbewerbsfähigkeit ernsthaft gefährden.

 

Die Rechnung konnte eben nicht aufgehen, wenn der Zuwachs des Sozialprodukts wesentlich hinter dem privaten Verbrauch, den Ausgaben der öffentlichen Hand und den Investitionen zurückblieb. Das heißt, daß im laufenden Jahre 1965 ein Mehr an Sozialprodukt von rund 20 Milliarden DM zur Verfügung steht, während für die obigen Zwecke rund 40 Milliarden DM verausgabt werden. Dieses Problem ist auch nicht durch eine Um- oder Andersverteilung des Volkseinkommens zu lösen, denn mit solchen Prozeduren läßt sich die kaufkräftige Nachfrage nicht verringern.

 

Bundesregierung und Bundestag stehen heute nicht vor einem ‚Soll’, sondern vor einem harten ‚Muß’. In  ihrer Hand und der von Ländern und Gemeinden liegt es, die überaus starke Zunahme der öffentlichen Ausgaben mindestens auf das noch vertretbare Maß der Steuereinnahmen zu reduzieren.

 

Daraus folgt:

 

1. Die Bundesregierung ist entschlossen, die Politik der Sozialen Marktwirtschaft konsequent fortzuführen und dadurch die ökonomischen Grundlagen für eine sich in Freiheit und Frieden festigende Gesellschaft sicherzustellen.

 

2. Für die Folgezeit sieht sich die deutsche Wirtschaft in ihrem Wachstum vor veränderte Bedingungen gestellt. In den kommenden Jahren werden erheblich mehr Menschen aus dem Erwerbsleben ausscheiden, als neue hinzutreten. Das bringt zugleich eine Erhöhung der Rentenlast mit sich. Der deutsche Arbeitsmarkt ist erschöpft. Die Heranziehung von noch mehr ausländischen Arbeitskräften stößt auf Grenzen. Nicht zuletzt führt sie zu weiteren Kostensteigerungen und zusätzlicher Belastung unserer Zahlungsbilanz.

 

Diese zuverlässig voraussehbaren und unabänderlichen Tatsachen haben zur Folge, daß in den Jahren bis 1930 in der Bundesrepublik aus der natürlichen Bevölkerungsentwicklung weniger Erwerbstätige zur Verfügung stehen werden als gegenwärtig. Der Schaden würde sich noch potenzieren, wenn dazu mit einer weiteren Verkürzung der Arbeitszeit gerechnet werden müßte.

 

3. Ein Volk, das sich vor gewaltige politische Aufgaben gestellt sieht, das um seiner Sicherheit willen Opfer bringen muß, das Wiedergutmachung und andere Hilfe in der Welt zu leisten hat, - ein Volk, das auf breitester Grundlage den Wohlstand mehren und auch in Arbeitnehmerhand die Vermögensbildung fördern will, - ein Volk, das neben dem wirtschaftlichen Wiederaufbau hohe Kriegsfolgelasten zu tragen hat, - ein Volk, das, um auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig zu bleiben, ständig hohe Investitionen vornehmen muß, - ein Volk, das die sozialen Leistungen noch immer weiter ausbauen möchte, obwohl die Bundesrepublik nach Aussage des Internationalen Arbeitsamtes in Genf von allen Ländern der freien Welt bereits die höchsten Leistungen tätigt; - ein solches Volk sollte sich nicht Überlegungen nach Verkürzung der Arbeitszeit hingeben.

 

Es muß sich vielmehr ernsthaft, und zwar nicht nur theoretisch, die Frage stellen - und ich tue es hier in aller Form -, ob es ihm nicht besser anstünde und ob es in seiner Lage nicht zweckmäßiger und sinnvoller wäre, die tariflich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit um eine Stunde zu erhöhen.

 

Dieses Problem kann und darf kein Tabu sein.

 

Wenn es auch außerordentlich schwer ist, die Auswirkungen einer solchen Maßnahme rechnerisch exakt zu ermitteln, kann doch kein Zweifel bestehen, daß ein Mehr an geleisteten Arbeitsstunden zu einer zusätzlichen Steigerung des Sozialprodukts, zu höherem Warenangebot, zu besserem Marktausgleich und damit sowohl zu einer Preisberuhigung als auch zu einem höheren Steueraufkommen führen würde.

 

Eines steht in jedem Falle fest, die Nutznießer eine solchen Neuorientierung werden alle sein. Deshalb dürfen wir nicht zögern, die notwendigen Verhandlungen über diese Frage unverzüglich aufzunehmen.

 

4. Eine Forcierung arbeitssparender Investitionen kann, selbst wenn sie vom finanziellen Einsatz her möglich wäre, die Beengung des Arbeitsmarktes nicht grundlegend verändern. Die Obergrenze des möglichen Wirtschaftswachstums wird in den nächsten Jahren unter den heute gegebenen Bedingungen keinesfalls höher liegen als bisher. Es gibt keinen anderen Ausweg: Wir müssen unsere Ansprüche zurückstecken oder mehr arbeiten.

 

5. Jede Fehlentscheidung in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik wiegt unter diesen Umständen besonders schwer. Deutlicher als in der zurückliegenden Zeit stürmischen Wirtschaftswachstums werden sich die schädlichen Wirkungen ausprägen, wenn wir den Grundsatz höchster Rationalität in der Wirtschaft mißachten. Großzügigkeit in der Subventionspolitik, Nachsicht gegenüber protektionistischen Forderungen bedeuten volkswirtschaftlichen Luxus, den wir uns nicht leisten können.

 

Das kostbare Gut menschlicher Arbeitskraft darf nicht vergeudet werden. Der Wechsel des Arbeitsplatzes von strukturell schrumpfenden Bereichen zu produktiveren Tätigkeiten gehört daher zu den Anpassungsvorgängen, die von der Bundesregierung zu fördern sind, wenn diese zugleich alles tut, um soziale Härten zu vermeiden, und den Betroffenen sogar zu besserer und sicherer Berufsausübung verhilft.

 

6. Aus der Sorge um die Erhaltung weiteren Wirtschaftswachstums unter Wahrung der Stabilität wird die Bundesregierung bei den finanzpolitischen Entscheidungen strengste Maßstäbe anlegen. Das Problem des Bundeshaushalts 1966 ist nicht nur eine Frage der Finanzierung oder Deckung; es schließt nicht minder das Problem ein, die gesamtwirtschaftlichen Wirkungen zu bedenken, die von Art und Umfang der Bundesfinanzen ausgehen.

 

7. Die Entscheidungen dieses Hohen Hauses sowie die Folgerungen, die die Bundesländer in ihrem Haushaltsgebaren aus dieser finanziellen Situation ziehen, werden nicht nur für die Entwicklung des Jahres 1966 bestimmend sein. Sie müssen für viele Jahre unsere innere Stabilität und unsere gesellschaftliche Ordnung gewährleisten.

 

8. Die für unsere Zukunft entscheidende Investitionstätigkeit müßte schweren Schaden leiden, wollte der Bund die konsumtive Nachfrage über Gebühr anheben. Das hätte zur Folge, daß die außenwirtschaftliche Bilanz noch tiefer ins Defizit geraten müßte. Wir würden die hart erarbeiteten Reserven vergeuden.

 

9. Der von Jahr zu Jahr steigende Subventionsaufwand der öffentlichen Hand nimmt bedenkliche Ausmaße an und ist geeignet, die Durchschlagskraft der Kreditpolitik zu schmälern. Im Rahmen eines längerfristigen Programms muß das Subventionsvolumen systematisch abgebaut werden.

 

Insbesondere gilt das für die Deutsche Bundesbahn, deren Defizit nach Gesetz vom Bund zu decken ist. Wenn dieses Defizit bereits für den Bundeshaushalt 1966 mit 3,2 Milliarden DM angemeldet war, ist leicht einzusehen, daß ohne einschneidende Maßnahmen sich der Fehlbetrag von Jahr zu Jahr ins Ungemessene erhöhen müßte. Unbeschadet bestimmter, aber doch auch begrenzter Tariferhöhungen wird die Bundesregierung in Kürze einen längerfristigen Plan vorlegen, der durch Rationalisierungsmaßnahmen und Personaleinsparungen zu einer fortschreitenden finanziellen Gesundung der Bundesbahn führen wird.

 

Die dafür von der Bundesregierung eingesetzte Kommission wird noch in diesem Jahr ihre Arbeiten beenden.

 

10. Die Bundesregierung konnte bei dieser Sachlage im Hinblick auf den Haushaltsausgleich 1966 nicht darauf verzichten, auch Ausgabeverpflichtungen auf Grund bereits bestehender Gesetze in ihr Ausgleichsprogramm einzubeziehen. Sie hat das mehrfache vor den Bundestagswahlen vor aller Öffentlichkeit angekündigt.

 

- Ich kann Ihnen den Nachweis erbringen. Der Haushalt 1966 wird ein Volumen von 69,4 Milliarden DM haben. Das bedeutet eine Erhöhung gegenüber dem Vorjahr um rund 5,5 Milliarden DM. Um eine Begrenzung der Ausgaben in dieser Höhe sicherzustellen, ist der Bundesminister der Finanzen beauftragt worden, in den Ressortverhandlungen die Anforderungen um 2,1 Milliarden DM zu kürzen. Durch Kabinettsentscheidung wurden ferner die Ausgabenansätze um weitere 2,2 Milliarden DM reduziert. Darüber hinaus hat die Bundesregierung dem Bundesrat den Entwurf eines Haushaltssicherungsgesetzes zugeleitet, durch das die dann noch verbleibende Deckungslücke in Hölle von 2,9 Milliarden DM geschlossen werden soll.

 

Die Bundesregierung ist für die Zukunft gewillt, neue Gesetze, die zu Mehrausgaben oder Einnahmeausfällen führen, von schwerwiegende Sonderfällen abgesehen, erst dann einzubringen, wenn sichergestellt ist, daß die erforderlichen Deckungsmittel bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens neuer Gesetze auch tatsächlich zur Verfügung stehen.

 

Die Bundesregierung bittet das Hohe Haus, diese Bemühungen zu unterstützen und insbesondere bei der Einbringung haushaltswirksamer Anträge die gleiche Zurückhaltung zu üben. Mit großer Genugtuung hat die Bundesregierung von Überlegungen innerhalb des Bundestages Kenntnis genommen, denen zufolge ausgabewirksame Gesetze zukünftig nur mehr in Verbindung mit der Verbindung des Bundeshaushalts bzw. eines Nachtragshaushalts beschlossen werden sollen.

 

Die Bundesregierung hat einschneidende Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt eingeleitet. Sie erwartet, daß sich auch die Länder in ihrer Haushaltspolitik dem vordringlichen Ziel der Stabilisierung unterordnen und sich in ihren Ausgaben ebenfalls größte Mäßigung auferlegen.

 

Die Bundesregierung wird ihre schon eingeleiteten Koordinierungsbemühungen zur baldigen Besserung der Lage am Kapitalmarkt fortsetzen und auf eine weitere Abstimmung der Kapitalmarktwünsche der öffentlichen Hand drängen. Insbesondere wird sie sich bei der Aufnahme von Krediten für den Bundeshaushalt sowie für die Sondervermögen des Bundes Zurückhaltung auferlegen und ihre Ansprüche der Leistungsfähigkeit des Marktes anzupassen bestrebt sein.

 

Die haushaltspolitische Stabilisierungsaufgabe kann dauerhaft nur dann bewältigt werden, wenn die jährlichen Haushalte in eine längerfristige Zielsetzung der Stabilitäts- und Wachstumspolitik eingeordnet werden. Eine an diesem Ziel orientierte Haushalts- und Finanzpolitik hat vor allem Vorsorge zu treffen, daß Umfang und Struktur der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben jeweils den gesamtwirtschaftlichen Erfordernissen angepaßt werden. Diese Aufgabe verlangt, daß die haushaltspolitischen Entscheidungen von den Einjahreszufälligkeiten gelöst und auf der Grundlage mehrjähriger und nach Maßgabe sachlicher und politischer Dringlichkeit geordneter Rahmenpläne vollzogen werden. Eine umfassende Reform des Haushaltsrechts ist auch im Hinblick auf diese Aufgabe vordringlich.

 

Ein Schwerpunkt unserer künftigen Arbeit wird die Finanzreform sein. Die im März 1964 eingesetzte Sachverständigenkommission wird noch vor Ende dieses Jahres ihre Vorschläge vorlegen. Neben der Neuabgrenzung der Aufgaben und Ausgaben von Bund und Ländern und der darauf aufbauenden Neuverteilung des Steueraufkommens einschließlich einer Neuordnung der Gemeindefinanzen wird die Kommission für die Finanzreform auch Vorschläge unterbreiten, die den wirtschaftlichen Zusammenhang der öffentlichen Haushalte insgesamt berücksichtigen. Sie wird voraussichtlich auch Regelungen zur Abwehr akuter Gefahren für die Geldwertstabilität sowie Vorstellungen über die gemeinschaftliche Finanzierung überregionaler Gemeinschaftsaufgaben durch Bund und Länder zur Debatte stellen.

 

In diesem Zusammenhang regt die Bundesregierung an, gemeinsam mit dem Hohen Hause die Frage der Zweckmäßigkeit einer Novellierung des Art. 113 des Grundgesetzes zu prüfen, um auch von daher für eine geordnete Haushaltswirtschaft des Bundes Vorsorge zu treffen. Es dürfte auch Übereinstimmung darüber bestehen, daß Paragraph 96 der Geschäftsordnung des Hohen Hauses einer Revision bedarf.

 

Die Vorschläge der Finanzreform-Kommission zur Finanzierung von Gemeinschaftsaufgaben sollen durch die Errichtung eines Deutschen Gemeinschaftswerkes ergänzt werden. Dieses Deutsche Gemeinschaftswerk soll in voller Wahrung des föderalistischen Prinzips die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern bei der gemeinsamen Programmierung und Finanzierung von überregionalen Gemeinschaftsaufgaben fördern. Insbesondere soll das Gemeinschaftswerk mehrjährige Investitionsprogramme aufstellen, die im Rahmen einer sachlichen und zeitlichen Dringlichkeitsordnung auch eine Grundlage für eine antizyklische Ausgabenpolitik der öffentlichen Hand bilden können. Die Bundesregierung wird ihre Vorschläge alsbald nach Abschluß der Arbeiten der Sachverständigenkommission für die Finanzreform mit den Ländern abstimmen und vorlegen.

 

Bei seiner Programmierung sollen dem Gemeinschaftswerk auf längere Sicht, unbeschadet der in den Haushalten von Bund und Ländern wie bisher für Gemeinschaftsaufgaben vorgesehenen Mittel, zusätzlich und so weit wie möglich diejenigen Steuereinnahmen des Bundes und der Länder zur Verfügung stehen, die als Folge der Steuerprogression über den jeweiligen realen Zuwachs des Bruttosozialprodukts hinausgehen.

 

Die Bundesregierung würde es begrüßen, wenn sich möglichst bald ein Einvernehmen mit den Ländern herstellen ließe und die Arbeiten für die Finanzreform und die Errichtung des Deutschen Gemeinschaftswerkes so beschleunigt werden könnten, daß die erforderlichen Verfassungsänderungen und die Ausführungsgesetze im Laufe der Legislaturperiode verabschiedet werden können.

 

Über die im Rahmen der Finanzreform vorgesehene Neuordnung hinaus soll das jetzige Umsatzsteuersystem durch Einführung einer Netto-Umsatzsteuer auf der Grundlage des bereits in der letzten Legislaturperiode eingebrachten Gesetzentwurfs umgebaut werden.

 

Das Besteuerungsverfahren soll durch die bereits eingeleitet Reform der Reichsabgabenordnung modernisiert und das Steuerverfahrensrecht neuzeitlichen rechtsstaatlichen Erkenntnissen angepaßt werden.

 

Der weiteren Förderung des Sparens kommt nach wie vor große Bedeutung zu. Die Bundesregierung ist, wie der 4. Deutsche Bundestag zum Ausdruck brachte, der Meinung, daß die gegenwärtigen Sparförderungsmaßnahmen zu überprüfen und neu zu ordnen sind. Hierbei soll der Grundsatz der breiten Eigentumsstreuung folgerichtig und auch vorausschauend mit den haushaltsmäßigen Möglichkeiten in Einklang gebracht werden.

 

Das gleiche Maß an Disziplin, das das deutsche Volk mit Recht vom Staat verlangt, muß aber auch von den Sozialpartnern hinsichtlich der Preis-, Lohn- und Arbeitspolitik gefordert werden.

 

Die Bundesregierung steht auf dem Boden freier Unternehmerentscheidung und der Tarifautonomie, die beide und zusammen unverzichtbare Bestandteile unserer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung sind. Die Sozialpartner verletzen jedoch ihre Pflicht, wenn sie sich auf Kosten der Allgemeinheit einigen.

 

Aus grundsätzlichen rechtlichen, volkswirtschaftlichen und politischen Erwägungen kann sich die Bundesregierung zu einer Ausdehnung der Mitbestimmung über den Montanbereich hinaus nicht verstehen.

 

Andererseits wendet sie sich aber gegen Bestrebungen, die dem bewußten und erkennbaren Zweck einer Aushöhlung der gegenwärtigen qualifizierten Mitbestimmung dienen.

 

Die eingangs dargestellte Wettbewerbssituation der deutschen Wirtschaft im Zusammenhang mit der Tendenz unserer Zahlungsbilanz zwingt uns, alles zu tun, um das Vertrauen in die Stabilität unserer wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung zu stärken, klare Rechts- und Zuständigkeitsverhältnisse zu schaffen, wie umgekehrt, alles zu unterlassen, was in- und ausländische Kapitalanleger hindern könnte, sich an deutschen Unternehmungen zu beteiligen und Wertpapiere zu erwerben.

 

Dieser Gesichtspunkt erlangt um so mehr Bedeutung, als mit der Freizügigkeit des Kapitalflusses in immer größer werdenden Märkten vergleichende Überlegungen hinsichtlich der Qualität und Geschlossenheit der Unternehmensführung angestellt werden. Das führt heute zu der Feststellung, daß in keinem Land eine so weitgehende Mitbestimmung besteht, wie sie dem Modell innerhalb des deutschen Montanbereiches entspricht. Im übrigen hat die Bundesregierung im Betriebsverfassungsgesetz eine in der ganzen Welt als vorbildlich anerkannte Form der Mitberatung und Mitwirkung der Arbeitnehmer am Schicksal des Unternehmens verwirklicht.

 

Um die Einsicht in die gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeiten und ein entsprechendes Verhalten zu fördern, wird die Bundesregierung mit den Repräsentanten aller wichtigen sozialen Gruppen einen regelmäßigen, häufigeren, umfassenden und intensiven Dialog einleiten.

 

Die Bundesregierung wird sich im internationalen Bereich weiterhin für ein höheres Maß an Koordinierung der Osthandelspolitik einsetzen. Die Kreditpolitik gegenüber den Oststaaten bedarf nach Art, Umfang und Laufzeit sowohl nach wirtschaftlichen als auch nach finanziellen Maßstäben einer Überprüfung und besseren gemeinsamen Ausrichtung. Es erscheint gerechtfertigt, diese Frage als ein gemeinsames Anliegen friedlicher politischer Strategie anzusehen.

 

Die zunehmende Verflechtung der nationalen Volkswirtschaften untereinander läßt die Kooperation auf konjunktur- und währungspolitischem Gebiet immer dringlicher erscheinen. Die Bundesregierung wird auf internationaler Ebene mit Nachdruck für die Währungsdisziplin und die Sicherung der finanziellen Stabilität eintreten. Die viel diskutierte Ausweitung der internationalen Liquidität darf einer weltweiten Inflationierung nicht Vorschub leisten.

 

Unserem gesellschaftspolitischen Leitbild entspricht eine Ergänzung der Wettbewerbspolitik durch eine aktive Strukturpolitik. Es ist keineswegs deren Ziel, durch dauernde Abschirmung nicht mehr wettbewerbsfähige Unternehmen oder Branchen künstlich zu erhalten. Es geht vielmehr darum, die Anpassung an Strukturveränderungen zu erleichtern, um die knappe Arbeitskraft so produktiv wie nur möglich einzusetzen. Die Bundesregierung wird aus gesellschaftspolitischen Gründen darum bemüht sein, die Wettbewerbsfähigkeit der Mittel- und Kleinbetriebe gegenüber den Großunternehmen zu stärken, um die Begründung selbständiger wirtschaftlicher Existenzen zu fördern.

 

Sie ist bestrebt, dabei die Voraussetzungen für die Eigenkapitalausstattung zu verbessern. Es ist nicht zu verkennen, daß der wirtschaftliche und technische Fortschritt, der europäische Großmarkt und die weltwirtschaftliche Verflechtung in vielen Bereichen zunehmende Betriebsgrößen erfordern. Ein wirksames Gegengewicht hierzu stellt die zwischenbetriebliche Kooperation kleiner und mittlerer Betriebe dar. Es bleibt das unablässige Bemühen der Wirtschaftspolitik, mißbräuchliche wirtschaftliche Machtausnützung zu verhindern.

 

Die Bundesregierung wird sich auch künftig der energiewirtschaftlichen Probleme mit Sorgfalt annehmen. Für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft ist eine preisgünstige und sichere Versorgung mit Energie von grundlegender Bedeutung. Durch ihre Energiepolitik wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß die Vorteile des derzeitigen Strukturwandels im Energiebereich der gesamten Wirtschaft optimal nutzbar gemacht werden.

 

Die Bundesregierung ist indessen gewillt, ihre Bemühungen um eine Gesundung der Verhältnisse im Steinkohlenbergbau fortzusetzen. Vom Steinkohlenbergbau erwartet sie, daß dieser alle seine Kräfte mobilisiert und alle Möglichkeiten zur Steigerung seiner Leistungskraft wahrnimmt.

 

Die besondere Förderung wirtschaftlich schwach entwickelter oder einseitig strukturierter Regionen ist nicht nur eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit, sondern auch ein wichtiges Instrument der Wachstumspolitik. Regionalpolitische Maßnahmen sollen dazu beitragen, die Wirtschafts- und Lebensbedingungen in den verschiedenen Teilen unseres Landes anzugleichen und die wirtschaftlichen Vorteile der einzelnen Regionen besser zu nutzen. Um diesem Ziele näherzukommen, wird die Bundesregierung ihre regionalen Förderungsprogramme ausbauen. Die zusätzlich erforderlichen Mittel können allerdings nur durch Einsparung an anderer Stelle aufgebracht werden. Der politischen Bedeutung und der wirtschaftlichen Situation des Zonenrandgebietes wird die Bundesregierung weiterhin Rechnung tragen.

 

Die Aufgaben der Sozialpolitik in einer modernen Gesellschaft müssen in der immer notwendiger werdenden Unterscheidung zwischen ihren klassischen Prinzipien und dem Bereich gesehen werden, den wir heute viel zutreffender Gesellschaftspolitik nennen. Die Bedeutung der Sozialpolitik liegt im Grundsätzlichen aber auch darin, daß sie in starkem Maße den Stil der gesamten inneren Politik bestimmt. Deshalb darf die Sozialpolitik nicht einfach zu einer Politik der Befriedigung sozialer Interessengruppen werden. Sie muß sich an objektiven Maßstäben und gesamtgesellschaftlichen Zielen orientieren.

 

Eine der Kernfragen der modernen Sozialpolitik lautet dahin, ob sich die klassischen Prinzipien der Sozialpolitik zu einem allgemeinen, allumfassenden gesellschaftlichen Versicherungsprinzip verdichten sollen. Die Bundesregierung lehnt die Einführung eines derartigen staatlichen Totalversicherungssystems aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Sie erblickt in einer Totalversicherung den Ansatz zu einer sich selbst nährenden inflationistischen Entwicklung.

 

Sie möchte aber auch ein ungewolltes Hineingleiten des einzelnen in die immer stärkere Abhängigkeit vom Staat vermeiden.

 

Eine moderne Sozialpolitik hat vielmehr danach zu trachten, daß jedermann sich als freier selbstverantwortlicher Staatsbürger in der Gemeinschaft bewegen kann. Dieser Grundsatz findet in der bestehenden Rentenversicherung durch die Bemessung der Renten nach der individuellen Lebensleistung Anerkennung.

 

Deshalb ist es das Ziel der deutschen Sozialpolitik, alle sozialen Gruppen vor einer Entwicklung zu bewahren, in der sie zunehmend bloß Objekte staatlicher Fürsorge sind. Die Bundesregierung verkennt dabei nicht die Notwendigkeit, eine Politik umfassender Daseinsvorsorge für unsere gesamte Gesellschaft zu treiben. Aber dieses Ziel läßt sich nur durch eine weitsichtige Strukturpolitik der Gesellschaft erreichen, nicht durch eine strukturlose Expansion sozialer Subventionen.

 

Zu einer solchen Strukturpolitik gehört heute in erster Linie die zielbewußte Förderung des beruflichen Ausbildungswesens, das einen immer engeren Zusammenhang mit dem allgemeinen Bildungswesen gewonnen hat. Soziale, berufliche und allgemeine Bildung sind heute bereits zu einer Ganzheit zusammengewachsen, deren Bedeutung für unsere Gesellschaft, für ihre Leistungsfähigkeit, für ihre soziale Sicherheit, für ihre zukünftige Lebensform erst in den Anfängen sichtbar geworden ist.

 

Angesichts der außerordentlichen Differenzierung, die die verschiedenen Stufen des beruflichen Ausbildungswesens in Deutschland charakterisiert - und diese Differenzierung ist kein chaotischer Wildwuchs, sondern spiegelt die Anforderungen einer modernen arbeitsteiligen Wirtschaft -, wäre es verfehlt, einer Reform dieser beruflichen Ausbildung im Sinne einer bloßen Vereinfachung das Wort zu reden. Wir müssen diese Ausbildung vielmehr in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit verbessern, d.h. weiterentwickeln und überschaubarer machen. Die Bundesregierung hat die Verbesserung einer weitgespannten Politik der Ausbildungs- und Weiterbildungsförderung in die Wege geleitet, und zwar sowohl institutionell wie individuell. Sie wird die Methoden dieser Förderung zügig und zielbewußt weiterentwickeln und auch das Berufsausbildungsrecht auf eine bessere und klarere Basis als bisher stellen.

 

Regionale Wirtschaftspolitik, Raumordnung und Städtebau, Verkehrspolitik und Förderung des Bildungswesens, alle diese Maßnahmen müssen neben ihrer speziellen Bedeutung nicht zuletzt als Sozialinvestitionen großen Ausmaßes gelten. Von der Fruchtbarmachung dieser Investitionen wird die Leistungsfähigkeit unseres Volkes abhängen, nicht von einer Steigerung des bloßen Sozialkonsums. Wir sind stolz darauf, daß die Bundesrepublik in ihren sozialen Leistungen an der Spitze der westlichen Industrienationen steht. Aber wir haben auch Grund zur Sorge, daß sich hinter diesen Leistungen zum Teil lediglich Zahlungen und Subventionen verbergen, die auf längere Sicht unsere Leistungsfähigkeit und damit unsere soziale Sicherheit nicht fördern, sondern schwächen.

 

Gerade deshalb wird die Bundesregierung alles tun, um zu verhindern, daß durch eine opportunistische Befriedigung von Gruppeninteressen die Sozialpolitik zu einer Hypothek für die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft wird.

 

Eine Politik, wie sie die Bundesregierung im Auge hat, fordert angesichts der hohen Kosten aller dieser Maßnahmen, daß Prioritäten, Rangfolgen und Schwerpunkte der einzelnen Maßnahmen längerfristig festgelegt werden. Die Bundesregierung wird dem Bundestag dazu entsprechende Vorschläge machen.

 

Allein von hier aus, d.h. von einer solchen weitgespannten gesellschaftlichen Strukturpolitik aus, läßt sich eine Verbesserung unserer Sozialpolitik im engeren Sinne entwickeln. Die Bundesregierung erwartet sehr bald den Bericht über die Sozialenquete. Sie erwartet davon auch einen nützlichen Beitrag für die Reform der sozialen Krankenversicherung sowie für die mit der Lohnfortzahlung zusammenhängenden Probleme. Der Arbeiter soll in der gleichen Weise wie der Angestellte wirtschaftlich gesichert sein. Weitere bereits laufende Untersuchungen sollen die Situation der alten Menschen und die Stellung der Frau in Beruf und Familie erhellen. Die Bundesregierung wird prüfen, welche Konsequenzen aus diesen Untersuchungen gezogen werden können, damit die Lebensbedingungen von alten Menschen, aber auch vieler Frauen verbessert werden können.

 

Es ist für die Bundesregierung selbstverständlich, dafür zu sorgen, daß die neun Millionen Rentner weiterhin am Fortschritt unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit teilnehmen. Ebenso hat sie Verständnis dafür, daß auch Gruppen von Selbständigen zur Sicherung ihrer Altersversorgung die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung anstreben. Diese Frage erfordert jedoch neben eines gesellschaftspolitischen Bewertung nicht zuletzt auch eine verantwortungsbewußte finanzpolitische Überprüfung.

 

Ähnliches gilt für die Kriegsopfer, vor allem für diejenigen, die in ihrer beruflichen Leistungsfähigkeit empfindlich und dauernd geschwächt sind. Die Bundesregierung steht zu ihrer Zusage, daß die Kriegsopferrenten unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und des realen Zuwachses der Volkswirtschaft periodisch überprüft werden.

 

Zu einer dynamischen Sozialpolitik gehört die weitere Förderung der Eigentums- und Vermögensbildung in breiten Schichten unseres Volkes, weil sie mehr als alles andere dazu geeignet ist, die Freiheit, Selbständigkeit und Verantwortlichkeit des einzelnen in der modernen Gesellschaft zu stützen.

 

Der Bericht über die Lage der Jugend hat uns bestätigt, vor welch gewichtigen Aufgaben im Bereich der Jugendpolitik wir auch in dieser Legislaturperiode stehen.

 

Die außerschulische Bildung und Erziehung unserer Jugend erlangt von Jahr zu Jahr größere Bedeutung. Auf ihre Einbeziehung in die gesamte Bildungsplanung kann nicht mehr verzichtet werden. Die Bundesregierung erblickt hier eine wichtige Aufgabe des neuen Bildungsrates. Sie hält eine sinnvolle, sachgerechte Koordinierung für unerläßlich und strebt daher an, den Bundesjugendplan weiterzuentwickeln.

 

Die Bundesregierung wird ihren Teil dazu beitragen, daß alle bildungswilligen und bildungsfähigen jungen Menschen in unserem Volke unabhängig von wirtschaftlichen Voraussetzungen die Ausbildung erhalten, die ihrer Begabung und Neigung entspricht.

 

Es gehört ferner zu den Aufgaben der kommenden Jahre, die Familienpolitik fortzuentwickeln. Das gilt auch für den Familienlastenausgleich. Die Familienpolitik darf sich aber nicht nur in materiellen Leistungen erschöpfen. Deshalb begrüßt die Bundesregierung den Beschluß des 4. Deutschen Bundestages, daß alle zwei Jahre ein Bericht über die Lage der Familie vorzulegen ist.

 

Die Bundesregierung ist sich bewußt, daß sie auf diesem Gebiet allein nicht alles Erforderliche und Wünschenswerte tun kann. Dies ergibt sich schon aus der immer größeren Differenzierung unserer Lebensverhältnisse. Sie hält deshalb eine engere Zusammenarbeit mit den Ländern und Kommunen für unerläßlich mit dem Ziel, die familienpolitischen Vorstellungen und Leistungen aufeinander abzustimmen und ihnen gezielt die größtmögliche Wirksamkeit zu geben.

 

Die Bedeutung der Gesundheitspolitik für die moderne Industriegesellschaft brauche ich nicht eigens zu unterstreichen. Auf den klassischen Gebieten der Medizin, im Bereich des Lebensmittelwesens sowie der Umwelt- und Sozialhygiene ist bereits Wesentliches geleistet worden. Die Bundesregierung wird ihre bisherige Politik fortsetzen und sich um eine noch intensivere Beratung durch Hochschulen und Institute, durch die Ärzteschaft und den Bundesgesundheitsrat bemühen.

 

Einige Aufgaben dürften besonders geeignet sein, im Rahmen eines Deutschen Gemeinschaftswerks verwirklicht zu werden. Ich denke dabei an die Modernisierung von Krankenhäusern, an die Förderung der Aus- und Fortbildung von Angehörigen der Heil- und Hilfsberufe und die Aufklärung der Bevölkerung in gesundheitlichen Fragen durch eine eigene Bundeszentrale.

 

Andere Aufgaben stehen in so engem Zusammenhang mit der Gesetzgebung, daß die Frage berechtigt ist, ob die derzeitigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes auf dem Gebiete des Gesundheitswesens, wie sie von der Mehrheit der Länder ausgelegt werden, den neuzeitlichen Anforderungen noch entsprechen. Wichtige Gesetzesvorhaben aus der Mitte des Bundestages sind bekanntlich in der vergangenen Legislaturperiode an dieser Auslegung gescheitert.

 

Es ist meine Absicht, hierüber bald mit den Regierungschefs der Länder freimütig zu sprechen.

 

Die bisher getroffenen Maßnahmen zum Schutz der Gewässer, zur Reinhaltung der Luft und zur Bekämpfung des Lärms haben bereits einen großen Teil von dem aufgeholt, was in Jahrzehnten versäumt worden war.

 

Die großen gesellschaftspolitischen Ziele, die diese Regierung sich gestellt hat, können nur erreicht werden, wenn die Frauen nicht nur in der Familie, sondern auch im Beruf und im öffentlichen Leben alle Möglichkeiten haben, voll mitzuarbeiten und echte Mitverantwortung zu übernehmen.

 

Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Enquete über die Stellung der Frau wird uns wertvolle Hilfe geben.

 

Die Förderung von Turnen und Sport, gleichviel ob in den Schulen, in Vereinen oder auf andere Weise betrieben, ist in unserer Gesellschaft auch eine öffentliche Aufgabe. Die Bundesregierung wird mit den Ländern und Organisationen des Sports diese Frage eingehend erörtern.

 

Die Bundesregierung stellt daneben mit Genugtuung fest, daß die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge als Gemeinschaftsleistung unseres Volkes große Fortschritte gemacht hat. Gleichwohl bedarf es noch weiterer Maßnahmen. Neben einer 19. Novelle zum Lastenausgleich nach Maßgabe vorhandener und liquide zu machender Reserven wird ein Gesetz zum Währungsausgleich für Deutsche aus der SBZ als Weiterführung gleichstellender Maßnahmen möglichst bald in Angriff zu nehmen sein. Die Bundesregierung läßt sich auch in Zukunft die Eingliederung vertriebener und geflüchteter Bauern angelegen sein. Im Rahmen der finanziellen Möglichkeiten werden wir uns um einen Abschluß der Kriegsfolgengesetzgebung bemühen.

 

Sowohl die durch den Krieg verursachten Veränderungen wie auch die Fortentwicklung der Industrialisierung haben zu einem tiefgreifenden Wandel der räumlichen Struktur Deutschlands geführt und regionale Struktur- und Raumordnungspolitik zu einer Aufgabe ersten Ranges werden lassen. Die Bundesregierung wird ihre Raumordnungspolitik im Rahmen des neugeschaffenen Raumordnungsgesetzes fortführen. Neben der Abstimmung raumwirksamer Planungen und Maßnahmen des Bundes ist dazu, wie in zahlreichen anderen Bereichen, eine enge Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden unerläßlich. Die Bundesregierung erstrebt deshalb ein Verwaltungsabkommen mit den Ländern. Sie wirkt auf die Aufstellung von Regionalplänen unter Mitwirkung der Gemeinden und Gemeindeverbände hin.

 

Die Grundsätze der Raumordnung müssen auch bei der Neuverteilung der Einnahmen und Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden berücksichtigt wenden.

 

Ebenso ist die baldige Verabschiedung des Städtebauförderungsgesetzes geboten. Außer der notwendigen Gesundung und Erneuerung unserer Städte und Dörfer wird es immer dringlicher, zum Zwecke regionaler Strukturverbesserung kleine und mittlere Orte zu größeren Gemeinwesen zu entwickeln.

 

Der soziale Wohnungsbau wird als Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Gemeinden im gesamten Bundesgebiet fortgeführt. Die Bildung von Wohnungseigentum für breite Schichten des Volkes behält aber ihren Vorrang. Die Bundesregierung ist sich überdies bewußt, daß die Förderung des sozialen Wohnungsbaues zugunsten kinderreicher Familien, alter Menschen und junger Ehepaare ihre Bedeutung behält.

 

Die unter großem Einsatz von öffentlichen Mitteln geschaffenen 3 1/2 Millionen Sozialwohnungen sollen auch in Zukunft dem gesetzlich bestimmten Personenkreis erhalten bleiben.

 

Zum Zwecke verstärkter Eigentumsbildung müssen die Gemeinden in die Lage versetzt werden, das Angebot an baureifen Grundstücken zu erhöhen und neues Bauland zu erschließen.

 

Die Verwirklichung der vor uns liegenden großen Aufgaben im Bereich der Raumordnung, des Städtebaues und des Wohnungswesens bedarf auch der Mithilfe der unternehmerischen Wohnungswirtschaft. Deren Rechte aber müssen in Übereinstimmung mit den heutigen gesellschaftspolitischen Zielen in einem Wohnungswirtschaftsgesetz neu geordnet werden. Dabei gilt es insbesondere, das Recht der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen mit der Bemühung der Bundesregierung um die Schaffung von privatem Eigentum an der Wohnung in Einklang zu bringen.

 

Nun zur deutschen Landwirtschaft. Sie hat - gefördert durch die Grünen Pläne - ein Produktivität erzielt, die noch vor wenigen Jahren nicht für erreichbar gehalten wurde. Trotzdem bedarf die Landwirtschaft angesichts der besonderen und erschwerten Bedingungen im Gemeinsamen Markt für die Erzeugung und den Absatz ihrer Produkte auch noch in Zukunft der Hilfestellung des Staates.

 

Seit Ende des vorigen Jahrhunderts genoß die Getreidewirtschaft eine bevorzugte Stellung. Die Agrarpolitik der EWG brachte eine entscheidende Wende. Außerdem erfordern veränderte Konsumgewohnheiten und erhöhte Qualitätsansprüche sowie neue Absatzformen große Anstrengungen der Landwirtschaft, die jahrzehntelang fast nur auf Mengenproduktion eingestellt war. Die Bundesregierung wird ihr dabei durch Investitionshilfen für die Rationalisierung der Betriebe sowie durch Maßnahmen zur Verbesserung der Marktstruktur zur Seite stehen. Wir können mit Genugtuung feststellen, daß sich die bäuerliche Bevölkerung der modernen Entwicklung gegenüber durchaus aufgeschlossen gezeigt hat. Die deutsche Landwirtschaft nimmt auch nach internationalen Maßstäben einen geachteten Platz ein.

 

Die Landwirtschaft weiter Teile Deutschlands leidet aber noch immer unter Flurzersplitterung, unzureichenden Betriebsgrößen und beengter Dorflage. Die Verbesserung der Agrarstruktur bleibt deshalb eine wichtige Aufgabe.

 

Unser Ziel ist bei alledem, die Vollerwerbsbetriebe - insbesondere die bäuerlichen Familienbetriebe - im internationalen Wettbewerb zu stärken. Betriebe mit einer nicht ausreichenden Existenzgrundlage können nur durch Aufstockung oder Intensivierung wirtschaftlich gesunden. Finanzielle Anreize zur Landabgabe sollen die Aufstockung wirksam beschleunigen. Soweit erwerbsfähige Personen aus einer hauptberuflichen landwirtschaftlichen Tätigkeit ausscheiden, ist ihnen die Umstellung zu erleichtern. Neue gewerblich-industrielle Arbeitsplätze auf dem Lande, verbunden mit der Erhaltung des Wohneigentums und von Nebenerwerbsstellen, sollen einer Abwanderung in die Ballungsräume entgegenwirken. Ich brauche nicht besonders zu betonen, daß alle Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur im Einklang stehen müssen mit den Bestrebungen zur Erneuerung der Dörfer und ländlichen Regionen unter den Gesichtspunkten der Raumordnung.

 

Die Bundesregierung wird die Interessen der deutschen Landwirtschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und bei internationalen Verhandlungen stets verteidigen. Das Zusammenwachsen der sechs Landwirtschaften des Gemeinsamen Marktes mag wohl vorübergehend Schwierigkeiten mit sich bringen. Die Bundesregierung wird jedoch besorgt bleiben, daß bei dem Anpassungsprozeß der Landwirtschaft Härten, soweit nur immer möglich, vermieden werden. Über den Augenblick hinaus ist jedoch entscheidend, durch die Wohlstandsentwicklung im großen gemeinsamen Markt einen vermehrten Absatz von qualitativ hochwertigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu angemessenen Preisen zu erzielen. Künftig wird es also mehr als bisher darauf ankommen, die Marktbedingungen vor allem auch für Veredelungsprodukte so zu verbessern, daß der deutschen Landwirtschaft ein angemessener Anteil an der Marktversorgung mit Ernährungsgütern gesichert bleibt. Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik bleibt es, die landwirtschaftliche Bevölkerung zu der Leistung zu befähigen, die ihr auf die Dauer einen gesicherten Platz in unserer modernen Industriegesellschaft gibt.

 

Schwerpunkt der Verkehrspolitik in den kommenden Jahren wird der umfassende Ausbau der Verkehrswege und Verkehrsanlagen aller Verkehrsträger im Rahmen langfristiger Planungen sein. Die Verwirklichung dieser aufeinander abgestimmten Vorhaben ist unerläßlich, wenn die weitere gedeihliche Entwicklung unserer Gesellschaft verbürgt sein soll. Den Investitionen kommt innerhalb dieses Sektors eine hohe Priorität zu.

 

Besonders stellt die unvermindert stark anwachsende Motorisierung die Verantwortlichen vor große und dringliche Aufgaben. Die bisherigen außerordentlichen Anstrengungen des Bundes für den Ausbau des Fernstraßennetzes werden fortgesetzt werden. Der gleiche Rang kommt aber nicht minder der Verbesserung der Verkehrsverhältnisse in den Gemeinden zu. Gestützt auf die von der sogenannten Enquete-Kommission ausgesprochenen Empfehlungen hat die Bundesregierung die Initiative ergriffen, um in enger Zusammenarbeit mit den Ländern rasche und wirksame Hilfe zu leisten.

 

Über die besondere Lage und Problematik der Deutschen Bundesbahn habe ich bereits an früherer Stelle gesprochen. Es muß durch ein koordiniertes Vorgehen mit allen beteiligten Stellen ehestens eine optimale Lösung im Sinne einer volkswirtschaftlich und technisch rationellen Aufgabenteilung im Verkehr gefunden werden. Das Auflaufen immer höherer Defizite kann einfach nicht hingenommen werden.

 

Die Bundesregierung wird es sich angelegen sein lassen, die mittelständischen Unternehmen des Güterkraftverkehrs und der Binnenschiffahrt durch geeignete Maßnahmen in die Lage zu versetzen, in dem sich verstärkenden nationalen und europäischen Wettbewerb im wesentlichen aus eigener Kraft zu bestehen. Auch wird sie im Rahmen des Möglichen ihre Politik auf dem Gebiet der Luftfahrt konsequent fortführen und die Entwicklung der deutschen Seeschiffahrt weiterhin fördern.

 

Das Post- und Fernmeldewesen ist für jede entwickelte Volkswirtschaft ein unentbehrlicher Faktor. Unser hochindustrialisiertes Land muß, um sich in der Weltwirtschaft frei entfalten zu können, über moderne und leistungsfähige Nachrichtenmittel und Transportmöglichkeiten verfügen. Die Deutsche Bundespost muß daher ihre Anlagen technisch und betrieblich den Anforderungen ihrer Nutzer entsprechend weiter ausbauen und vervollkommnen. Nach Vorlage des Gutachtens der vor Jahresfrist berufenen Sachverständigenkommission wird die Bundesregierung prüfen, welche Maßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Bundespost geeignet und finanziell möglich sind.

 

In meiner Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963 habe ich ausgeführt, daß die Aufgaben der Bildung und Forschung für unsere Zeit den gleichen Rang einnehmen, wie die soziale Frage für das 19. Jahrhundert. Die verfassungsmäßige Kompetenz des Bundes ist auf diesem Gebiet begrenzt; es ist jedoch in den letzten Jahren die Erkenntnis der Notwendigkeit einer engen, vertrauensvollen Zusammenarbeit von Bund und Ländern weiter gewachsen. Die großen Fragen der Förderung der Wissenschaft, für die der Bund ein hohes Maß Mitverantwortung trägt, können nur im Gesamtzusammenhang der Bildungsdiskussion und der Bildungspolitik richtig verstanden und gelöst werden. Deshalb begrüße ich es besonders, daß nach den früheren Vereinbarungen über die Zusammenarbeit im Wissenschaftsrat, die Finanzierung des Ausbaues der Hochschulen und der großen Forschungsorganisationen und der Studienförderung am 15. Juli 1965 ein grundsätzliches Einvernehmen auch über die Errichtung des Bildungsrates erzielt wurde.

 

Mit vielen gewichtigen Stimmen der Wissenschaft, Wirtschaft und Publizistik weiß sich die Bundesregierung darin einig, daß die schnelle Entwicklung von Forschung und Technik erheblicher zusätzlicher Anstrengungen bedarf. Nur so kann die Bundesrepublik ihre Stellung als eine der führenden Industrienationen behaupten. Man hat mit Recht gesagt, daß die Forschung von heute der Wohlstand von morgen ist.

 

Wir werden diesen Vorrang der Aufwendungen für Wissenschaft, Bildung und Ausbildung und für andere bedeutsame Sozialinvestitionen freilich nicht in einem Wettlauf von Forderungen und Versprechungen sicherstellen, sondern das Ziel nur erreichen, wenn wir auch den Mut zur Begrenzung anderer Wünsche haben.

 

Der Bund wird die seit 1960 mit ständig steigenden Beträgen unterstützte Förderung des Ausbaues der wissenschaftlichen Hochschulen auf der Grundlage der Empfehlungen des Wissenschaftsrates weiterführen. Dort, wo die moderne Forschung und Entwicklung ernste Gefahrenquellen für Mensch und Umwelt mit sich bringen, wird die Bundesregierung auch in Zukunft für wirksame Schutzmaßnahmen Sorge tragen, wie das bereits erfolgreich auf dem Gebiet der friedlichen Nutzung der Atomkernenergie geschehen ist. Die Förderung der allgemeinen wissenschaftlichen Forschung, insbesondere der Grundlagenforschung, und die Förderung der technischen Entwicklungen, die auch in anderen Staaten von der Wirtschaft noch nicht allein vorgenommen werden kann, müssen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

 

Den Grundfragen des Rechts und der Rechtspolitik kommt in unserem Rechtsstaat große Bedeutung zu. Die Bundesregierung wird bemüht bleiben, unser Gesetzesrecht so zu gestalten, daß es, von der allgemeinen Rechtsüberzeugung getragen und auf klaren, zeitgemäßen rechtspolitischen Grundsätzen aufgebaut, übersichtlich und allgemein verständlich ist. Es gilt vor allem, die Reform des Strafgesetzbuches zu vollenden und die Reformen des Strafverfahrens und des Strafvollzugs tatkräftig zu fördern. Die Überlegungen und Arbeiten, die bereits in der vergangenen Legislaturperiode zur Reform der Zivilgerichtsbarkeit eingeleitet worden sind, werden mit Nachdruck fortgesetzt.

 

Besonders wichtig erscheint mir auch die Feststellung, daß die Bundesregierung jede Anstrengung unternehmen wird, um vor Beendigung der Verjährungsfrist die weitere Untersuchung und strafrechtliche Verfolgung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen sicherzustellen. Die Bundesregierung richtet in diesem Zusammenhang erneut den Appell an die Welt, sie bei diesem Bestreben zu unterstützen und ihr insbesondere vorhandenes Beweismaterial zur Verfügung zu stellen.

 

Ich komme nunmehr zur Außenpolitik.

 

Vor zehn Jahren, am 5. Mai 1955, hat die Bundesrepublik Deutschland ihre Souveränität erlangt; gleichzeitig trat sie dem nordatlantischen Bündnis bei.

 

Damals standen sich in der Welt zwei große Machtblöcke gegenüber. Der Graben, der sie trennte, schien unüberbrückbar zu sein. Die Völker lebten in der Furcht, der ‚Kalte Krieg’ könne zu einer großen atomaren Auseinandersetzung führen. Im Spannungszentrum aber stand das geteilte Deutschland.

 

Inzwischen hat sich die weltpolitische Lage in mancher Hinsicht verändert. Eine große Zahl junger Nationen ist zur Selbständigkeit gelangt. Der innere Zusammenhalt der beiden großen Machtblöcke hat sich sowohl in Ost wie in West gelockert. Insbesondere ist das kommunistische China als selbständiger politischer Faktor in Erscheinung getreten.

 

Die Gefahr eines atomaren Krieges ist nicht gebannt, wenngleich auch unsere Gegner anscheinend vermeiden wollen, zur Durchsetzung ihrer Ziele die Welt an den Rand einer Katastrophe zu treiben. Hier und da hat sich die Erstarrung im Verhältnis der beiden großen Machtblöcke zueinander etwas gelöst; die begrenzten Fortschritte reichen jedoch nicht hin, um bereits von einer echten Entspannung sprechen zu können.

 

Eine Frage aber ist von dieser Entwicklung unberührt geblieben: das Problem des geteilten deutschen Volkes.

 

Als im September vor zehn Jahren die Bundesregierung und die sowjetische Regierung übereingekommen waren, diplomatische Beziehungen aufzunehmen, erklärten sie in einem Kommunique:

 

Beide Seiten gehen davon aus, daß die Herstellung und Entwicklung normaler Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zur Lösung der ungeklärten Fragen, die das ganze Deutschland betreffen, beitragen und damit auch zur Lösung des nationalen Hauptproblems des gesamten deutschen Volkes - der Wiederherstellung eines deutschen demokratischen Staates - verhelfen werden.

 

Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Das lag weder an mangelndem Willen noch an Trägheit oder an doktrinärer Unbeweglichkeit der deutschen Politik, sondern allein an der Tatsache, daß die Sowjetunion die Wiedervereinigung des deutschen Volkes in Freiheit bisher nicht gewollt hat und noch immer nicht will.

 

Noch vor zehn Jahren, in der Direktive der Regierungschefs der Vier Mächte vom 23. Juli 1955, hatte die Sowjetunion, wie es wörtlich hieß, einer Lösung der Frage der ‚Wiedervereinigung Deutschlands durch freie Wahlen im Einklang mit den nationalen Interessen des deutschen Volkes sowie im Interesse der europäischen Sicherheit’ zugestimmt. Auch dieses Versprechen wurde nicht eingelöst.

 

Sie hat im Gegenteil im Herbst 1958 mit einem massiven Druck auf Berlin begonnen und ihre Absicht bekundet, diese Stadt von uns zu trennen, d.h. sie zunächst zu einem dritten, selbständigen Teil Deutschlands zu machen mit dem Ziel, Berlin in die SBZ einzugliedern. Das ist dank der Standhaftigkeit unserer Verbündeten, unserem festen Willen, aber vor allem dank der tapferen Haltung der Berliner nicht gelungen.

 

Die Zukunft Berlins wird auch künftig auf folgenden Grundsätzen und Grundforderungen beruhen, die wir verteidigen: auf der Anwesenheit der drei Verbündeten in Berlin, dem uneingeschränkten freien Zugang nach Berlin, der Zugehörigkeit Berlins zum freien Teil Deutschlands, dem Verlangen, daß jede Vereinbarung über Berlin den eindeutigen Willen der Berliner zu respektieren hat.

 

Nachdem die Sowjetunion mit ihren ultimativen Drohungen nicht zum Ziel ihrer Deutschlandpolitik kam, versucht sie nunmehr, den gegenwärtigen Status zunächst einmal sanktionieren zu lassen, indem sie mit dem Begriff der friedlichen Koexistenz operiert. Sie arbeitet gleichwohl offensiv auf die Zerstörung des westlichen Sicherheitssystems hin. Sie versucht, die Anerkennung der Sowjetzone in der Welt durchzusetzen und West-Berlin als besondere politische Einheit hinzustellen. Sie unternimmt große Anstrengungen, den Eindruck zu erwecken, als störe der Wunsch des deutschen Volkes nach Wiedervereinigung die Entspannung in der Weltpolitik. Sie bezeichnet die Wiedervereinigung als Sache der, wie sie behauptet, ‚beiden deutschen Staaten’ und möchte sich selbst willkürlich aus der Vier-Mächte-Verpflichtung lösen.

 

Die Bundesregierung besteht darauf, daß das ganze deutsche Volk in Selbstbestimmung über sein Schicksal entscheiden kann und daß die vier Mächte ihre Verpflichtung einlösen.

 

Die Bundesregierung hat ebenso wie ihre Verbündeten immer wieder die Lösung der Deutschlandfrage auf der Grundlage dieser beiden Prinzipien gefordert. Um unserem Volke und der Weltöffentlichkeit die Intensität dieser Bemühungen erneut vor Augen zu führen, wird die Bundesregierung darüber ein Weißbuch veröffentlichen.

 

Der Sowjetunion gegenüber hat sich die Bundesregierung mehrfach bereit erklärt, falls eine Einigung über das wichtigste zwischen uns und der Sowjetunion bestehende Problem, nämlich die Wiedervereinigung, nicht sofort möglich sei, doch Schritte zur Verbesserung des gegenseitigen Verhältnisses zu unternehmen. Sie hat zu erkennen gegeben, daß sie über vieles mit sich reden lasse, darunter auch - wie ich hier am 15. Oktober 1964 erklärt habe - über Sicherheitsgarantien für den Fall der Wiedervereinigung. Ich habe das unmittelbare Gespräch mit den sowjetischen Führern gesucht, und es war auch erreicht, daß der frühere Ministerpräsident Chruschtschow Bonn zu besuchen bereit war. Die sowjetische Regierung aber beharrt in ihrem Irrtum, daß es der Sowjetunion mehr diene, wenn Deutschland geteilt, als wenn es wiedervereinigt sei. Sie soll indessen wissen - und wir haben auch das erklärt: Das deutsche Volk und jede gesamtdeutsche Regierung werden bereit sein, dafür Garantien zu geben, daß Rußland und unseren östlichen Nachbarn aus der Wiedervereinigung Deutschlands keine Gefahr erwächst.

 

Die Bundesregierung wird alles tun, um den inneren Zusammenhalt zwischen den beiden Teilen unseres getrennten Volkes zu festigen, aber sie wird, um der Klarheit vor aller Welt willen, keinen politischen Preis dafür zahlen. Insbesondere werden wir uns zu keinen Maßnahmen bereit finden, die geeignet sind, die Bedingungen für eine Wiedervereinigung in Freiheit zu verschlechtern. Denn wir haben auch, für unsere Landsleute in der Zone einzustehen und für deren große Hoffnung, eines Tages endlich wieder unter einer freiheitlichen und demokratischen Ordnung in einem wiedervereinigten Deutschland leben zu dürfen.

 

Den Leistungen, die unsere deutschen Landsleute unter schwersten Bedingungen beim Wiederaufbau in der Zone vollbringen, zollen wir um so mehr Bewunderung, als sie in einem unwürdigen und unfruchtbaren Gesellschaftssystem erzielt werden.

 

Ein Regime, das aus Angst um seine Existenz dazu greift, in der geteilten Hauptstadt Berlin eine Mauer zu errichten und sich mit Stacheldraht und Wachttürmen zu umgeben, verurteilt sich selbst und kann nur Ablehnung und Verachtung finden.

 

Die Bundesregierung hält seit ihrem Bestehen an ihrem Alleinvertretungsrecht für alle Deutschen fest. Das heißt, daß wir in einer Anerkennung oder einer internationalen Aufwertung der Zone einen unfreundlichen Akt erblicken würden, der sich gegen die Wiederherstellung der deutschen Einheit richtet.

 

Wir werden in unseren Anstrengungen, eine solche Entwicklung zu verhindern, nicht nachlassen, selbst auf die Gefahr hin, da oder dort als Störenfried zu gelten.

 

Wie würden andere Nationen handeln, wenn sie in unserer Lage wären? Ich bin gewiß, kein Volk von geschichtlichem Anspruch wäre bereit, seine Einheit und sein Recht preiszugeben.

 

Die sowjetische Propaganda wirft uns vor, daß unser Wunsch, die Sowjetunion möge unseren Landsleuten das Recht auf Selbstbestimmung gewähren, ein Element der Spannung in die Weltpolitik trage. Diese Agitation stellt die Tatsachen auf den Kopf. Würde nämlich die Sowjetunion den Deutschen in der Zone das Selbstbestimmungsrecht gewähren und damit die Wiedervereinigung unseres Volkes ermöglichen, so würde sie vielmehr ein entscheidendes Hindernis für eine dauernde Entspannung zwischen Ost und West beseitigen.

 

Wir wünschen nicht weniger Entspannung, wir wünschen mehr Entspannung.

 

Dieser Weg mag weit sein. Er wird von uns auf Entbehrungen und Opfer fordern. Wir werden ihn dennoch gehen. An seinem Ende wird ein Friedensvertrag stehen, verhandelt und geschlossen von einer frei gewählten gesamtdeutschen Regierung. Nur mit und in diesem Vertrag können und müssen die endgültigen Grenzen Deutschlands festgestellt werden, das nach gültiger Rechtsauffassung in seinen Grenzen vom 31. Dezember 1937 fortbesteht, solange nicht eine frei gewählte gesamtdeutsche Regierung andere Grenzen anerkennt.

 

Die Wiedervereinigung Deutschlands ist der Friede Europas.

 

Der Deutsche Bundestag hat die Bundesregierung am 14. Juni 1961 in einer einstimmig angenommenen Entschließung aufgefordert, eine Ostpolitik zu führen, deren Ziel die Wiederherstellung eines freien Gesamtdeutschlands ist, das auch mit der Sowjetunion und allen osteuropäischen Staaten friedliche und gedeihliche Beziehungen unterhält. Zu diesem Ziel soll die Bundesregierung jede sich bietende Möglichkeit ergreifen, um ohne Preisgabe lebenswichtiger deutscher Interessen zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und den osteuropäischen Staaten zu gelangen.

 

Wir sind uns darüber klar, daß wir erst am Anfang einer solchen Politik stehen und daß sie fortgesetzt werden muß.

 

Die Bundesregierung wird auch in Zukunft bestrebt sein, die Beziehungen zu den Staaten in Ost- und Südosteuropa weiterzuentwickeln, den Handel zu fördern, die kulturellen Kontakte zu verstärken und gegenseitiges Verständnis zu wecken.

 

Es besteht Übereinstimmung darüber, daß Wiedervereinigungspolitik, Sicherheitspolitik und Außenpolitik eine Einheit bilden. Das bedeutet, daß eine erfolgreiche deutsche Außenpolitik um die Gewährleistung unserer äußeren Sicherheit besorgt sein muß. Die deutsche Sicherheitspolitik ist auf den friedlichen Ausgleich der Interessen gerichtet. Sie will niemandem ihren Willen aufzwingen, aber auch nicht der Willkür anderer unterworfen sein. Gerade in Europa kann es keinen Frieden und keine Sicherheit geben, wenn nicht die Ursache der herrschenden Spannungen beseitigt wird: das aber ist die unselige Teilung Europas durch Stacheldraht, Minenfelder und Mauern, das ist das Unrecht, das ist die Unmenschlichkeit. Nur die Freiheit kann den Frieden geben, nur die Sicherheit gibt uns Freiheit.

 

Deutschland kann sich nicht allein verteidigen, aber ohne Deutschland kann auch Europa nicht verteidigt werden. Europa kann seine Freiheit nicht ohne Amerika bewahren, aber auch Amerikas Freiheit ist im letzten von der Verteidigung Europas abhängig.

 

Die Bundesregierung hat die allgemeine kontrollierte Abrüstung seit jeher als eines ihrer Hauptziele betrachtet. Wir bekennen uns erneut dazu und erklären uns bereit, alle jene internationalen Bemühungen zu unterstützen, die die Welt diesem Ziel näherbringt.

 

Aber täuschen wir uns nicht; Abrüstung allein ist kein Allheilmittel gegen die Unruhe der Völker, gegen Spannungen und Konflikte, die die Welt erschüttern. Solange Unterdrückung und Aggression in ihren verschiedensten Ausprägungen, wie vor allem auch die Anwendung von Gewalt, nicht aus dieser Welt getilgt sind, müssen die freiheitlich gesinnten Staaten imstande sein, sich wirksam zu verteidigen. Darum muß eine Abrüstungspolitik, wie die Bundesregierung sie versteht, Hand in Hand gehen mit einer Politik, die - ich wiederhole es - darauf gerichtet ist, die Spannungs- und Unruheherde zu überwinden. Das eigentliche Ziel, nämlich größere Sicherheit für alle, würde sonst nicht erreichbar sein.

 

Ein allgemeines Abrüstungsprogramm muß euer umfassend sein, umfassend in dreifachem Sinne: Es muß die nukleare wie die konventionelle Rüstung einschließen, es muß alle Staaten verpflichten, auf die es ankommt, und es darf kein Land diskriminieren.

 

Eine zweite grundsätzliche Forderung, die im Einklang mit uns viele andere Regierungen erheben, geht dahin, daß die Abrüstungsmaßnahmen das Kräftegleichgewicht weder global noch regional einseitig verschieben dürfen.

 

Und drittens: Es muß sich um ein Gesamtprogramm handeln, auch wenn dieses nur stufenweise verwirklicht werden kann.

 

Die Bundesregierung ist bereit, alle Vorschläge daraufhin zu überprüfen, ob sie von politischen Fortschritten begleitet werden oder solche Fortschritte selbst herbeiführen können. Wir werden nachhaltig darauf hinwirken, daß kein System von Abrüstung-, Entspannungs- oder Sicherheitsmaßnahmen auf der Konzeption eines geteilten Deutschlands errichtet wird und dadurch die Spaltung unseres Landes noch mehr vertieft wird.

 

Ich möchte an dieser Stelle nochmals in Erinnerung rufen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1954 ihren Verbündeten gegenüber freiwillig darauf verzichtet hat, ABC-Waffen auf ihrem Gebiet herzustellen. Wir würden es begrüßen, wenn möglichst viele andere Staaten diesem deutschen Beispiel folgten.

 

Mit dieser Verpflichtung haben wir das wesentliche Element eines Vertrages über die Nichtweitergabe von Atomwaffen vor bereits elf Jahren erfüllt.

 

Das nordatlantische Bündnis hat sich bewährt. Die große militärische Macht unserer Allianz hat Westeuropa geschützt und schützt es weiterhin. Die NATO bildet die Grundlage unserer Verteidigungspolitik.

 

Sie ist außerdem seit langem ein wichtiges politisches Konsultationsorgan der Verbündeten. In Krisenzeiten hat uns die NATO auch politisch geholfen. Ihre Mitglieder haben sich stets für die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit eingesetzt.

 

Angesichts der waffentechnischen Entwicklungen kann die NATO ihre Aufgabe jedoch nur erfüllen, wenn sie bereits im Frieden so organisiert ist, daß sie jeden Gegner davon abhält, einen Angriff zu wagen oder Erpressungen zu versuchen. Die Funktion der Waffen als Mittel der Politik hat sich in unseren Vorstellungen gewandelt. Sie sind für uns und alle friedliebenden Völker nicht mehr dazu bestimmt, einen Krieg zu führen, sondern dazu, ihr durch ihre Abschreckungskraft zu verhindern. Immer mehr werden sie ein Instrument politischer Strategie, die auf friedlichen Ausgleich gerichtet ist

 

Die Bundesregierung glaubt, daß eine Anpassung der NATO an neue politische und militärische Sachverhalte notwendig ist. Insbesondere müssen jene Probleme gelöst werden, die sich aus der Tatsache ergeben, daß nunmehr einige Mitglieder der Allianz über eigene Kernwaffen verfügen, andere aber nicht. An der nuklearen Verteidigung müssen indessen die Bundesgenossen nach dem Grad ihrer Bedrohung und dem Grad ihrer Leistungen beteiligt werden.

 

Wir denken dabei an Formen einer gemeinsame nuklearen Organisation und beteiligen uns an Beratungen mit den verbündeten Mächten. Wir haben wiederholt bekundet, daß wir keine nationale Kontrolle über Kernwaffen anstreben. Wir sollten aber nicht von jeder nuklearen Beteiligung deshalb fern gehalten werden, weil wir ein geteiltes Land sind. Die Spaltung Deutschlands ist ein Unrecht. Dem darf nicht ein zweites dadurch hinzugefügt werden, daß man uns, die wir Wesentliches für das westliche Bündnis tun, die Verteidigung gegen die offene Bedrohung aus dem Osten erschwert. Solche Ansichten schwächen die Allianz, gleichzeitig bestärken sie die Sowjets, auf der Spaltung unseres Kontinents zu beharren.

 

Wir haben besondere Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich. Sie finden ihre Erklärung nicht bloß in völkerrechtlichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Gegebenheiten. Sie sind vielmehr im Laufe der Jahre in einem Prozeß, auf den wir gemeinsam stolz sein können, zu freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Regierungen und den Völkern entwickelt worden.

 

Die Vereinigten Staaten tragen die Hauptverteidigungslast der NATO. Sie besitzen ein Arsenal von Kernwaffen, das dem der Sowjets überlegen ist. Sie unterhalten darüber hinaus voll einsetzbare Truppen in Stärke von 240000 Soldaten in Deutschland, die einen unverzichtbaren Bestandteil der gemeinsamen Verteidigung ausmachen. Sie haben entscheidend dazu beigetragen, die Freiheit West-Berlins und die Verbindung zu dieser Stadt zu erhalten. Unser Lebensinteresse gebietet uns, mit den USA politisch und militärisch eng zusammenzuarbeiten.

 

Lassen Sie mich aber im besonderen von Europa sprechen: Der große Plan eines europäischen Zusammenschlusses war, ist und bleibt Ziel unserer Politik.

 

Der Gedanke und der Glaube an ein geeintes Europa haben unseren politischen Willen geprägt und uns Hoffnung gegeben. Die alte, die überlieferte europäische Ordnung genügt nicht mehr dem Geist und den Erfordernissen unseres Jahrhunderts. Mit Allianzen, Verträgen und Einzelabsprachen alten Stils ist es nicht mehr getan. Ein neues, ein vereintes und großes Europa muß neben den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion jene Geltung erlangen, die der geschichtlichen, geistigen und kulturellen Leistung seiner Völker entspricht. Europa muß sich politisch, wirtschaftlich und militärisch formieren.

 

Die Entwicklung in den letzten beiden Jahrzehnten hat uns in der Erkenntnis bestärkt, daß hierin die einzige Chance liegt, unserem alten Kontinent auf fester und dauerhafter Grundlage weltpolitischen Rang zu sichern.

 

Die Politik der europäischen Einigung, die sielt zunächst auf die Kooperation der Volkswirtschaften erstreckte, ist in eine Krise geraten. Wir müssen konstatieren, daß das Zusammengehörigkeitsgefühl der europäischen Völker derzeit politisch noch nicht organisierbar zu sein scheint. Trotzdem darf und wird die deutsche Politik in ihrem Streben nach der Einigung Europas nicht nachlassen. Unser Ziel bleibt unverändert.

 

Wir werden insbesondere alles tun, um zu erhalten und zu bewahren, was die drei europäischen Gemeinschaften bereits erreicht haben. Wir wollen dabei nicht dogmatisch vorgehen, aber wir werden andererseits auch sorgsam die Gefahren bedenken, die dem schon weit gediehenen Werk drohen, falls die Grundlagen der geschlossenen und gültigen Verträge in Frage gestellt würden. Wir sind bereit, unseren wirtschaftlichen Beitrag zur Einigung Europas auch weiterhin zu leisten. Dabei erwarten wir allerdings, daß sich der Fortschritt in den wesentlichen Teilbereichen des Gemeinsamen Marktes gleichzeitig vollzieht. Hierzu gehört vor allem ein ausgewogenes Verhältnis der wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Gemeinschaften auf allen Gebieten. Es wird langwieriger, schwieriger Verhandlungen bedürfen, um eine Übereinstimmung der Interessen der europäischen Völker herbeizuführen.

 

Die Bundesrepublik hat einer Politik der europäischen Solidarität bewußt den Vorzug gegenüber einer Politik des nationalen Egoismus gegeben. Sie wird konsequent auf diesem Weg bleiben. Das war auch der gute Sinn meiner bisherigen Bemühungen, eine Plattform für politische Gespräche unter den Sechs auf höchster Ebene zu finden.

 

Ziel muß bleiben, die europäische Einigung nicht auf die EWG-Staaten zu beschränken, sondern rechtzeitig das ganze freie Europa einzuschließen.

 

Wir hoffen daher, daß sich dieser Einigung weitere Länder anschließen werden. Es ist naheliegend, dabei in erster Linie an Großbritannien zu denken; darüber hinaus aber sind auch die nordischen Staaten und letztlich alle, die ein Europa der Freien und Gleichen wollen, unmittelbar angesprochen. Wir sollten diesen Gedanken gerade auch in der gegenwärtigen Situation nicht aus dem Auge verlieren.

 

Der Bundesregierung ist an einer friedlichen Zusammenarbeit mit allen Staaten dieser Erde gelegen. Der Friede in Europa ist für die Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas von genauso großer Bedeutung, wie uns jede Störung des Friedens in diesen Erdteilen unmittelbar berührt.

 

Zu einem dauerhaften Frieden in Europa gehört die gerechte Lösung der sogenannten deutschen Frage. Unsere Beziehungen zu fremden Völkern werden davon beeinflußt, wie sie sich in dieser Frage verhalten. Das gilt nicht zuletzt auch für die Entwicklungshilfe.

 

Wir haben die Entwicklungshilfe grundsätzlich ohne politische Bedingungen gegeben. Die Zusammenarbeit zwischen uns und den Entwicklungsländern setzt aber Verständnis für die wechselseitigen Interessen voraus. Wenn wir das Streben dieser Länder nach Stabilität und Unabhängigkeit anerkennen, dürfen und müssen wir erwarten, daß sie auch unseren Wunsch respektieren, die Teilung unseres Landes durch freie Selbstbestimmung des gesamten deutschen Volkes zu überwinden, und uns in ihrer Haltung dabei unterstützen.

 

Wir verlangen damit nicht mehr als die Achtung und Anerkennung eines Grundsatzes, auf dem die Existenz der meisten dieser jungen Staaten beruht. Diese Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Nationen, deren industrielle Entwicklung erst beginnt, dient auf lange Sicht auch unserem eigenen Nutzen. Nur Volkswirtschaften, die über eigene, d.h. selbsterarbeitete Kaufkraft verfügen, sind ernsthafte Handelspartner.

 

Nicht zuletzt aber auch aus humanitären Gründen bekennen wir uns zu einer Politik, die hilft, soziale Spannungen in der Welt zu beseitigen und das Gefälle zwischen industrialisierten und unterentwickelten Ländern zu verringern. Das weist sie als eine Politik des Friedens aus. Wir werden auch in Zukunft den Einsatz unserer Entwicklungshilfe danach bemessen, ob sie für das Empfängerland sinnvoll ist und ob das Hilfe empfangende Land auch für Deutschland die Prinzipien der Selbstbestimmung und der nationalen Einheit anerkennt, die es für sich selbst in Anspruch nimmt.

 

In diesem Zusammenhang ein Wort über den Stand unserer Beziehungen zu den arabischen Staaten. Wir verstehen das Streben der arabischen Völker nach Einheit und ihren Wunsch nach wirtschaftlichem und sozialem Fortschritt. Wir haben beides unterstützt. Wir sind bereit, diese Unterstützung auch in Zukunft zu gewähren. Voraussetzung ist allerdings, daß die arabischen Staaten Verständnis zeigen für die Lage, in der sich Deutschland auf Grund der gewaltsamen Teilung befindet.

 

Voraussetzung ist ferner, daß die arabischen Völker Verständnis dafür aufbringen, wie sehr uns Deutschen daran gelegen sein muß, normale Beziehungen zu Israel zu unterhalten. Wir wollen den arabischen Regierungen, die in diesem Frühjahr den bedauerlichen Schritt des Abbruchs diplomatischer Beziehungen zu uns getan haben, den Weg zur Wiederaufnahme solcher Beziehungen offenhalten. Lassen Sie mich darum an dieser Stelle ein Wort des Dankes für die besonnene und ausgewogene Politik an die Regierungen jener arabischen Staaten richten, die sich jenem Schritt nicht angeschlossen haben.

 

Der Botschafteraustausch mit Israel, 20 Jahre nach dem Ende des NS-Staates, ist ein entscheidender Beitrag zu einem Neubeginn. Er eröffnet Möglichkeiten einer friedlichen Zusammenarbeit mit einer aufstrebenden Nation und der Fortsetzung eines fruchtbaren geistigen Dialogs mit einem alten Kulturvolk.

 

Die Bedeutung der auswärtigen Kulturpolitik kann kaum hoch genug veranschlagt werden. Sie ist, unabhängig von den Veränderungen der jeweils aktuellen Lage, in hohem Maße berufen, den wechselnden Konstellationen der Interessen die dauerhaften Grundlagen zu geben, auf denen unsere Beziehungen zu fremden Völkern ruhen. Unsere auswärtige Kulturpolitik fördert das Verständnis für Deutschland, indem sie von den Leistungen unserer Zivilisation, der Größe ihrer Tradition, der Lebendigkeit ihrer Gegenwart Kunde gibt. Die Chancen der auswärtigen Kulturpolitik sind freilich nicht allein von der Bundesrepublik bestimmbar, die dazu nur Mittel und politische Unterstützung sowie Instrumente und Administration stellen kann. Im eigentlichen und letzten hängen sie ab von der Kraft und Vitalität, der Originalität und Faszination der Ausprägung unseres kulturellen Lebens.

 

Die Bundesregierung erkennt mit Dankbarkeit und Stolz an, daß diese eigentliche, erste Voraussetzung auswärtiger Kulturpolitik erfüllt ist. Nicht nur die darstellenden Künste, nicht nur Wissenschaft und Technik - die Literatur, die bildende Kunst, die moderne Musik haben in unserem Land in den letzten Jahren Leistungen hervorgebracht, die die Aufmerksamkeit der Welt verdienen und unserer eigenen kulturellen Vergangenheit würdig sind.

 

Die Bundesrepublik erklärt, daß sie ihre Anstrengungen für die auswärtige Kulturpolitik steigern wird. Wir werden mehr Mittel bereitstellen müssen, um Auslandsschulen und deutsche kulturelle Einrichtungen im Ausland auszubauen; wir werden der deutschen Sprache im internationalen Verkehr die Geltung zu verschaffen suchen, auf die sie nach Verbreitung und Bedeutung Anspruch hat; wir wollen das Bild Deutschlands, das als Handels- und Industrienation der Welt geläufig ist, durch jene Züge ergänzen, die zum Bild Deutschlands gehören: die Züge des Geistes und der menschlichen Gesittung.

 

Die Bundeswehr wird während der kommenden Legislaturperiode ihr inneres Gefüge weiter zu festigen und ihre Kampfkraft so zu erhöhen haben, daß sie in der Lage ist, auf der dann erreichten geistigen, personellen und materiellen Grundlage den militärischen Erfordernissen voll gerecht zu werden.

 

Die Bundesregierung wird den Entwurf eines Organisationsgesetzes vorlegen und geeignete Maßnahmen ergreifen, die der Überwindung des Personalengpasses dienen. Die dienstrechtliche, wirtschaftliche und soziale Stellung des Soldaten soll so ausgestaltet werden, daß den berechtigten Erwartungen auf eine angemessene Laufbahn Rechnung getragen wird.

 

In der Rüstung wird das Ziel verfolgt, die Bewaffnung zu modernisieren und damit Feuerkraft und Beweglichkeit zu erhöhen. Ferner sollen die logistische Unterstützung der Streitkräfte vervollständigt und alle Möglichkeiten zur Standardisierung von Waffen und Gerät ausgeschöpft werden.

 

Besondere Aufmerksamkeit wird auch dem Aufbau der Territorialverteidigung zu widmen sein.

 

Alle diese Vorhaben bedürfen der tatkräftigen Unterstützung des Bundestages und der wachsenden Anteilnahme unseres Volkes an den Aufgaben und Anliegen unserer Soldaten.

 

Die militärische Verteidigung bliebe ohne den großen Bereich dessen, was wir ‚zivile Verteidigung’ nennen, nur ein Torso. In ihrem Aufbau sieht die Bundesregierung auch einen finanziell wichtigen Beitrag zur NATO wie zur WEU.

 

Zur zivilen Verteidigung gehört auch das Problem der Verfassungsergänzung für den Notstandsfall. Mit dieser Frage hat sich der letzte Bundestag in zwei Lesungen und vielen Ausschußberatungen eingehend befaßt, aber die vorgesehene Ergänzung des Grundgesetzes kam nicht mehr zustande. Die neue Bundesregierung wird in erneuten Verhandlungen mit der parlamentarischen Opposition ehestens zu klären haben, ob es in der neuen Legislaturperiode gelingen wird, unsere Verfassung durch eine Regelung zu ergänzen, die rechtsstaatlich den Notwendigkeiten der inneren und äußeren Sicherheit im Ernstfall gerecht zu werden vermag, aber dazu auch praktikabel ist.

 

Die immer noch fortbestehenden Vorbehaltsrechte der Drei Mächte beziehen sich nicht nur auf das Gebiet der Notstandsverfassung, sondern sie gestatten den Drei Mächten auch jederzeit Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnisses. Die Bundesregierung wird alles daransetzen, daß in dieser Legislaturperiode die zahlreichen in diesem Zusammenhang auftretenden schwierigen Probleme bewältigt und insbesondere die Vorbehaltsrechte auch auf diesem Gebiet endlich durch ein deutsches Gesetz abgelöst werden.

 

Die innere Sicherheit unseres Staates ruht auf einer breiten und festen Grundlage. Dies zeigt nicht zuletzt die deutliche Absage, die unser Volk allen rechts- und linksextremen Gruppen bei den letzten Wahlen erteilt hat. Es darf aber nicht vergessen werden, daß der Kommunismus seine Zerstörungsarbeit unvermindert fortsetzt. Unsere Wachsamkeit darf nicht erlahmen. Ein Gleiches gilt hinsichtlich aller Erscheinungsformen des in sich zerstrittenen Rechtsradikalismus.

 

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung weiß, daß das Ende der Nachkriegszeit die Bundesrepublik Deutschland im Innern und nach außen vor neue Aufgaben stellt, zu neuen Pflichten ruft, daß eine neue Lage mit neuen Mitteln gemeistert werden muß, daß eine Periode nüchterner Besinnung vor uns liegt.

 

Der Aufstieg der Bundesrepublik, die Wandlung Deutschlands und der Deutschen, die sich darin manifestiert, ist ständig von einer kritischen öffentlichen Meinung begleitet gewesen, die uns wohl vor der Versuchung der Selbstzufriedenheit bewahrt hat, die aber auch oft genug die Identifikation der Deutschen mit ihrem Staat und mit ihrer Leistung nach dem Kriege erschwerte. Ich möchte darum sagen, daß die Politik eines großen Landes nicht ohne politisches Selbstbewußtsein gestaltet werden kann und daß gerade ein Volk, das geteilt ist wie das deutsche, die Überzeugung an das eigene Recht, die eigene Aufgabe braucht, den Glauben an die Legitimität seiner Politik und seiner Interessen.

 

Diesen Tatbestand sollte auch die politische Kritik respektieren; sie mag im übrigen meine Regierung und mich angreifen, wie es ihr Gesinnung, Anlässe und Pflichtbewußtsein gebieten.

 

Ich habe vor dem Deutschen Bundestag als der Vertretung des deutschen Volkes das Programm der Bundesregierung vorgetragen. Es ist ein Programm ohne Überschwang und ohne Selbsttäuschung. Die Bundesregierung erkennt nüchtern die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Aber sie ist entschlossen, diese Möglichkeiten ihres Handelns zu nutzen - gemäß dem Auftrag des Wählers und dem Geheiß der Verfassung. Sie geht nun ans Werk - im guten Glauben an die Sache Deutschlands, in der Erwartung, daß das deutsche Volk sie unterstützt. Sie als die Abgeordneten des deutschen Volkes ruft die Bundesregierung auf: Lassen Sie uns prüfen, was zu tun ist; lassen Sie uns streiten, wo noch Zweifel herrscht, über das Richtige; lassen Sie uns gemeinsam handeln, wo Gewißheit besteht; lassen Sie uns einstehen für das Recht, die Freiheit und die Einheit des Landes, dem wir dienen.“